Sie zeigen sich in Moodboards auf Instagram, Tumblr und Pinterest: Junge Menschen in Tweed-Blazern und Schuluniformen, die vor dunklen, alten Gebäuden posieren oder bei Kerzenlicht ledergebundene Klassiker lesen. Im Hintergrund stehen ein Tintenfässchen und eine antike Büste auf einem altmodischen Sekretär. Tee dampft in einer Porzellantasse, ein melancholisches Zitat von Emily Dickinson hängt an der Wand. Und über allem schwebt der Hauch finsterer Geheimnisse. Willkommen in Dark Academia.

Was ist Dark Academia?

Dark Academia ist heute vor allem eine Ästhetik. Ein Style, der sich aus Mode, Architektur und Accessoires zusammensetzt. Alles ist in gedeckten Erdtönen, Grau oder Blau gehalten, alles ist ein bisschen dunkel, alles hat irgendwie mit altehrwürdigen Lehrinstituten zu tun und mit elitären, gebildeten jungen Menschen.

Seinen Anfang nahm dieser Trend in der Literatur. 2015 tauchte der Hashtag #darkacademia erstmals auf - in einem Posting auf dem sozialen Netzwerk Tumblr, in dem es um Donna Tartts Roman Die geheime Geschichte ging.

The Secret History

In diesem Roman von 1992 eskalieren die Vorgänge in einem elitären Club an einer englischen Privatschule zu einem Mord. Unter der Mentorenschaft eines Lehrers beschäftigen sich sechs Freunde mit klassischer Literatur, Philosophie und altertümlichen Gepflogenheiten, bis hin zu orgiastischen, unter Drogeneinfluss stehenden Zusammenkünften. Soghaft, intensiv und dunkel verführerisch, schuf Tartt mit Die geheime Geschichte (Englisch: "The Secret History") ein eigenständiges neues Genre - Dark Academia.

Das Spektrum ist inzwischen breiter geworden. Die Grundmerkmale sind geblieben: In einem universitären Setting oder an einer Privatschule, deren Architektur und Zeitgeist an Oxford oder Cambridge erinnern, spielen sich innerhalb eines engen Freundeskreises (oft eine geheime Studentenverbindung oder ein exklusiver Club) mysteriöse Vorgänge ab. Sie haben mit Gefahr und nicht selten mit Tod zu tun.

Weitere Autorinnen und Autoren griffen diese Zutaten auf. Wie M. L. Rio in If We Were Villains, das sich wie eine andere Variante von Tartts Roman liest, nur dass es an einem Shakespeare-Konservatorium spielt. Zehn Jahre nach einem Verbrechen erzählt einer der damaligen Schauspielschüler eine Geschichte, in der sich junge Menschen in ihren Rollen verlieren und Shakespeares blutige Tragödien wahr zu werden scheinen.

If We Were Villains

Ein aktuelles Beispiel ist Die verschwundenen Studentinnen von Alex Michaelides. An einem College in Cambridge spielen sich unheilvolle Dinge ab. Eine junge Frau ist unauffindbar, ein exzentrischer Professor scheint besonderen Einfluss auf eine Gruppe von Studentinnen auszuüben - darunter die Nichte einer Psychologin, die nach der Wahrheit sucht. Nicht so literarisch und weniger komplex, hakt Michaelides dennoch alle Genre-Zutaten ab.

Die verschwundenen Studentinnen

Dark Academia: Der Trend in Film und Serie

Die düstere Atmosphäre, der Spannungshauch, die emotionale Intensität - kein Wunder, dass auch Film und Fernsehen den neuen Trend für sich entdeckten. Man kann sogar debattieren, was zuerst da war, Bücher oder Filme. Denn als erster Dark-Academia-Film gilt "Der Club der toten Dichter" von 1989, auch wenn der Begriff selbst erst viele Jahre später im Zusammenhang mit Donna Tartts Roman kreiert wurde.

Im bekannten Kinofilm, mit Robin Williams in der Hauptrolle, entfacht ein progressiver Lehrer an einer Privatschule für Jungen deren Liebe zur englischen Literatur. Die Schüler rufen den geheimen "Club der toten Dichter" wieder ins Leben: Nachts treffen sie sich verbotenerweise in einer Höhle und lesen sich dort Lyrik von Keats, Byron und anderen Poeten vor. Von ihrem Lehrer zu einem freigeistigen und kreativen Leben ermutigt, endet die Geschichte in einer Tragödie.

Derzeit gewinnt auch die All Souls-Trilogie von Autorin Deborah Harkness neue Fans als Serie bei einem Streamingdienst. An Erwachsene gerichtet, ist es diesmal eine junge Professorin für Geschichte, die an der Yale-Universität in den USA ein seltsames Buch aus dem Regal zieht. Sie löst damit eine Kette von gefährlichen und unheimlichen Ereignissen aus, und verliebt sich in einen Vampir. Die Reihe verknüpft Dark Academia mit Fantasy und einer Liebesgeschichte, bedient sich aber deutlich an den Originalzutaten.

Élite wiederum, eine seit 2018 laufende spanische Netflix-Serie, spielt zwar in einem modernen Setting, verknüpft jedoch ebenfalls das Leben an einer exklusiven Privatschule mit intensiven Beziehungen, Intrigen und tödlichem Drama.

Warum ist Dark Academia so beliebt?

Wie aber wurde aus dem Literaturgenre eine eigene Internet-Ästhetik? Und warum fegt sie durch die Social-Media-Kanäle - vor allem bei der Generation Z?

Dark Academia feiert die Bildung und das Streben nach Wissen. Damit gemeint ist vor allem Wissen jenseits des modernen, praxisbezogenen Lernstoffs. Es geht um klassische Bildung, um Literatur, Kunst, Architektur, Philosophie, alte Sprachen und Kunstgeschichte. Es sind Studienfächer, die der reichen, meist adligen Elite des 19. Jahrhunderts zugute kamen, und zwar vor allem im Sinne von Prestige und Selbsterforschung. Mit dem Lernen für eine bezahlte Tätigkeit, die den Lebenserhalt sichern soll, hat das nichts zu tun.

Der Appeal dieses rein akademischen Lernens ist klar: Es geht um das Privileg. Um etwas, das im realen Leben den wenigsten offen steht, sich aber mit den richtigen Accessoires im Internet gut darstellen lässt. Die Sehnsucht nach Bildung als hohes Gut verknüpft sich mit dem Wunsch nach Status.

In den sozialen Medien ist Dark Academia also eher Schein als Sein und ein kreativer Spielplatz. Es wird gepost, eine Ästhetik kreiert, dekoriert und mit Filtern und Bildbearbeitungssoftware eine Welt zusammengebastelt, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Man taucht ein in eine Atmosphäre, bildet auf durchgestylten Instagram-Profilen ein "Mood" ab. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Manche versuchen Dark Academia auch zu leben. Gerade für Studierende ist das verlockend. Sich so zu kleiden wie in Cambridge oder Oxford, die Studentenbude passend auszustatten, und bis tief in die Nacht über englischen Klassikern oder Kunstgeschichte-Bänden zu hocken, während man in einem altmodisch aussehenden Notizbuch mit einem Füller Notizen macht - hört sich das nicht attraktiver an als im Neonlicht der Uni-Bibliothek am Laptop zu sitzen und BWL zu pauken?

Für Studierende kann das ein willkommener Eskapismus sein aus dem Druck eines modernen Studiums; eine Absage an das Leistungsdenken des 21. Jahrhunderts und eine Rückwendung hin zur altmodischen, privilegierten Dekadenz. Das hat auch etwas mit der Verweigerung von Verantwortung zu tun: Die Protagonisten in Dark-Academia-Geschichten bewegen sich in einem geschlossenen akademischen Kosmos der Sorglosigkeit, in dem sie sich um das “wahre Leben” da draußen keine Gedanken machen müssen.

Die richtigen Bücher, um Dark Acadamia real zu leben

Damit sind nicht die Dark-Academia-Geschichten selbst gemeint, sondern die klassischen, ledergebundenen “Schinken”, welche die Hauptfiguren in den Romanen und Filmen bis tief in die Nachtstunden studieren.

Der finsteren, oft auch dunkel-romantischen Natur des Genres entsprechend, ist die Dichtkunst der Romantik und Schauerromane naheliegend. Melancholie à la Lord Byron oder John Keats gefällig? Oder morbide-existentialistisches von Emily Dickinson? Wer es gruseliger mag, greift zu Gothic Novels und Horror-Klassikern wie Mary Shelleys Frankenstein oder zu Wilkie Collins’ Die Frau in Weiß.

Auch Oscar Wilde und Sir Arthur Conan-Doyle sind wegen ihrer viktorianischen Atmosphäre beliebt. Wer im Hintergrund noch klassische Musik von Tschaikowsky auf einem Plattenspieler auflegt, macht die Stimmung perfekt.

Mehr dazu: Schöner Schaudern mit diesen beliebten Gothic Novels.

Dark Ivy - Wenn ich falle
Great Poets of the Romantic Age
Frankenstein oder der moderne Prometheus
Geistergeschichten weltberühmter Autoren
Der Hund der Baskervilles

Dark Academia: Es geht um Zugehörigkeit zu einer eingeschworenen Gemeinschaft

Alle Dark-Academia-Stories spielen sich innerhalb eines engen Freundeskreises ab. Es gibt eine Clique, eine Studentenvereinigung, gar eine geheime Gesellschaft mit ausgewählten Mitgliedern, die in engster Beziehung zueinanderstehen, oft mit einem Mentor, der sie anleitet.

Auch das ist etwas, was diese Ästhetik so attraktiv macht. Wollten wir nicht alle dazugehören früher in der Schule, zu einer peer group, am liebsten zu den coolsten, die irgendwie über allen anderen zu stehen schienen? Oder aber zu einer Truppe rebellierender Außenseiter, denen die Regeln der anderen egal waren? Exklusivität, Vertrautheit, ein Miteinander gegen des Rest der Welt - das signalisieren solche Cliquen, und es ist schön, dazuzugehören.

Die Vereinsamung, die während der Corona-Pandemie entstand, verstärkte das Bedürfnis nach Zugehörigkeit bei der jungen Generation. Alleine vor dem Computer zu hocken, ohne Partys, ohne gemeinsam durchgestandene Vorlesungen und Klausuren, ließen die Sehnsucht nach analogem, gemeinsamem Lernen und richtigem Studendenleben groß werden. Kein Wunder, dass Dark Academia gerade in dieser Zeit neuen Zulauf bekam.

Ebenfalls interessant: Vom Schauerroman bis zur Gothic Novel.

Noch etwas macht das schulische oder universitäre Setting reizvol - wir kennen es alle. Zumindest in der Schule ist jeder gewesen, egal wie lange oder wo. Es ist eine vertraute Situation, die jeder - positiv wie negativ - erlebt hat. In Dark Academia bricht in diese vertraute Routine etwas Besonderes ein: Es wird mysteriös, obskur und gefährlich. Im Alltag tun sich Abgründe auf. Aus Langeweile wird ein echter Thriller.

Dark Academia meets Fantasy

Noch aufregender wird das Genre, wenn man es mit Fantasy mischt. “A Discovery of Witches” hat es vorgemacht - und viele Nachfolger gefunden. Aus Privatschulen werden in diesen Geschichten Akademien für dunkle Künste und Magie; an den Universitäten werden neben Literatur und alten Sprachen auch Zaubersprüche gelehrt und mörderische Rituale.

Mit Harry Potter kennt wohl jeder die berühmteste Version dieser Jugend-Fantasy-Variante von Dark Academia. Viele weitere sind dazugekommen, vom Jugendroman bis hin zum erotisch angehauchten New-Adult-Roman und an Horror grenzende Fantasy, in die auch Erwachsene gerne eintauchen.

Leigh Bardugo, Schöpferin der berühmten Shadow & Bone-Reihe, verfasste 2019 Das Neunte Haus über eine Studentenvereinigung an der amerikanischen Yale-Universität. Mit dunkler Magie werden politische Entwicklungen und Börsenkurse beeinflusst, es geschieht auch ein Mord. Das ist Dark Academia Fantasy, die deutlich den Kinderschuhen entwachsen it.

Das neunte Haus

Die Scholomance-Reihe von Naomi Novik mischt Dark Akademia mit dem Konzept von Tribute von Panem: Aus einer Schule für Lernende mit magischen Fähigkeiten kommt man nur auf zwei verschiedene Arten wieder heraus - mit einem Abschluss oder tot.

Scholomance - Tödliche Lektion

Teenager werden am Club der Rabenschwestern von Kass Morgan ihre diebische Freude haben: Diese exklusive Studentenverbindung an einem luxuriösen College ist nichts anderes als ein Hexenzirkel.

Der Club der Rabenschwestern

Und in V.E. Schwabs Vicious-Serie spielen zwei Medizinstudenten mit dem Tod und der Wiederauferstehung. Ein gefährliches Experiment, das die jungen Menschen mit fragwürdigen Superkräften zurücklässt - und eine Tragödie auslöst.

Vicious - Das Böse in uns

Dark Academia: Die Kritik am Ästhetik-Trend

Das Genre und der Lifestyle haben bei allem Erfolg ihre Schattenseiten. Und neben aufkommender Kritik zeigt sich bereits eine Gegenbewegung - die Light Academia.

Erster Kritikpunkt: Eurozentrismus

Der wichtigste Kritikpunkt: Dark Academia ist eurozentrisch. Der Fokus liegt auf privilegierten, weißen Figuren in einem britischen oder pseudo-britischen Setting. Schwarze, Indigene oder People of Color kommen in diesen Geschichten praktisch nicht vor. Das liegt natürlich an der historischen Anlehnung an Zeiten und Settings, in denen akademische Bildung ausschließlich der weißen Oberschicht vorbehalten war, ist damit aber nicht mehr zu rechtfertigen.

Erste Autorinnen und Autoren üben nicht nur Kritik, sondern schreiben Dark-Academia-Romane, die BIPOC (steht für: Black Indigenious People of Color) zu Hauptfiguren machen, wie Faridah Àbíké-Íyímídé mit ihrem akademischen YA-Thriller “Ace of Spades”.

Zweiter Kritikpunkt: Postulat eines ungesunden Lebensstils

Mit Skepsis wird auch die Lebensweise gesehen, den Dark Academia postuliert: Das Lernen die ganze Nacht hindurch, unter Zufuhr von Unmengen von Koffein, wird als erstrebenswert angesehen. Schlafmangel ist quasi ein Statussymbol.

Hinzu kommt der morbide und melancholische Aspekt von Dark Academia. Das Geheimnisvolle und Gefährliche wird als attraktiv betrachtet, Sterblichkeit und Tod als faszinierend, Pessimismus ist das Gebot der Stunde. In einer Zeit, in der Depression, Burn-out und Suizidalität grassieren wie eine Epidemie, ist das möglicherweise nicht gerade förderlich für die geistige und körperliche Gesundheit einer sensiblen Leserschaft.

Light Academia: Die helle Variante

Ein Gegenentwurf existiert bereits: Light Academia nennt sich die wortwörtlich hellere und leichtere Variante der Trend-Ästhetik, ebenfalls eine Kreation der Tumblr-Community seit 2019. Die Grundzutaten - das elitäre akademische Setting und die dazu passende Kleidung - bleiben erhalten. Die Farben sind allerdings heller, die Gebäude freundlicher, die Stimmung optimistischer, das Miteinander sozialer. Die liberalen, positiven Aspekte des Studentenlebens treten hervor. Sonnenlicht und gesellige Picknicks im Grünen ersetzen das introvertierte Brüten in dunklen Kammern zur Geisterstunde.

Light Academia beschäftigt sich mit Impressionismus statt mit Gotik, mit hübscher Kalligraphie und Naturfotografie statt mit Geheimschrift und Totenschädeln. Man trifft sich mit den Gesinnungsgenossen nicht mehr in finsteren Gewölben und verstaubten Bibliotheken, sondern in Coffeeshops und freundlichen Büchereien.

Wer den Light-Academia-Stil pflegt, liest die Romane von Jane Austen oder Little Women von Louisa May Alcott, schaut sich Serien wie The Crown oder Sex Education an. Teilweise überschneiden sich die Empfehlung allerdings für beide Academia-Trends. Romane wie Das Lied des Achill oder Streaminghits wie Das Damengambit werden von Anhängern der Dark- und der Light-Version beansprucht.

Der Eurozentrismus ist auch bei Light Academia ein bleibender Kritikpunkt. Und es bleibt bei der Exklusivität und den Privilegien der High Society. Aber immerhin gibt es bei Light Academia (in der Regel) keinen Mord und Totschlag, und am Ende winkt meist ein Happy End.

Little Women - Betty und ihre Schwestern
Stolz und Vorurteil
Der geheime Garten
Das Lied des Achill

Ob Dark Academia oder Light Academia, am Ende ist es wohl wie mit allen Trends: Mit Augenmaß betrieben, als kreative Ausdrucksform in den sozialen Medien oder als spannende Lektüre, sind beide Varianten eine Bereicherung für die spielfreudige junge Generation, für Literatur und Film. Solange man es nicht übertreibt, die berechtigte Kritik im Auge behält und den Trend divers, inklusiv und im Bewusstsein der dargestellten Privilegien in eine Richtung entwickelt, die niemanden ausschließt und allen Freude macht.

Noch mehr Dark Academia und Light Academia

Mit diesen deutschen und englischen Titeln kannst du weiter in geheimnisvolle akademische Welten eintauchen:

Stealing Infinity
Was geschah mit Alice?
Die Insel der besonderen Kinder
Emma
The Raven Boys
Plain Bad Heroines
I'll Give You the Sun
The Magus
A Lesson in Vengeance