Als der Cowboy vom Pferd stieg, aufs Automobil umsattelte und statt der Ferse im Steigbügel das Gaspedal durchdrückte, war es geschehen: Ein neues Genre hatte das Licht der Welt erblickt. Aus dem Western wurde das Roadmovie. Wobei der Begriff bis heute für Filme und Romane gleichermaßen herhalten muss – die „Roadnovel“ ist als Bezeichnung kaum geläufig.

On the Road

Es waren die 60er Jahre in Amerika und der Cowboy war nun also On the Road – um es mit dem Titel von Jack Kerouacs stilbildendem Klassiker zu sagen. Der Cowboy? Nun, genauer gesagt: die Cowboys. Denn anders als das Pferd hat das Auto schließlich einen Beifahrersitz. Auf diesem nahm Jack Kerouac als Chronist selbst Platz. Das Lenkrad überließ er seinem Kumpel, dem durchgeknallten Kleinkriminellen Neal Cassady. Es sollte die Reise seines Lebens werden, verewigt in einem autobiografischen Roman.

Zwei Buddys auf einer ziellosen Reise quer durch die USA und Mexiko; dazu Drogen, Sex und Bebop: Das Buch, 1951 innerhalb von nur drei Wochen auf einer Rolle Fernschreiberpapier heruntergetippt, enthält alle Grundzutaten des Genres. Im atemlosen Rhythmus seiner Sprache klingt das Geräusch der Räder an, die Kilometer um Kilometer auf den endlosen Landstraßen Amerikas abspulen.

Kerouac wurde mit „Unterwegs“ – so der deutsche Titel – zum Helden und Vordenker der Beat-Generation. Freiheitsstreben, Draufgängertum und eine selbstgewählte Außenseiterrolle: Für die Beatniks war dies die Antwort auf die Zwänge der Zivilisation. Der Roadtrip als Flucht vor der Gesellschaft und zugleich als Suche nach einem Platz in ihr – dieses Motiv inspirierte Filme wie „Easy Rider“, „Fluchtpunkt San Francisco“ oder „Badlands“ sowie zahlreiche weitere Romane. Besonders in der amerikanischen Literatur hat der Roadtrip seither einen festen Platz - zu sehen auf dieser detaillierten USA-Karte der legendärsten literarischen Roadtrips.

Losfahren, um bei sich anzukommen

Besonders gerne kommt der Coming-of-Age-Roman auf vier Rädern daher. Logisch, muss doch jeder Heranwachsende sich selbst und seinen Platz in der Gesellschaft finden. Genau darum geht es ja letztendlich in jedem Roadtrip-Roman: Wie löst ein Mensch den Widerspruch zwischen seinem Wunsch nach Freiheit und dem nach Zugehörigkeit? Wer in Bewegung ist, entkommt dieser Zwickmühle – zumindest, solange die Räder rollen.

Lincoln Highway

Da ist zum Beispiel Emmett, der Held aus Amor Towles‘ hochgelobtem Roadtrip-Roman Lincoln Highway. Im Jahr 1954 hält ihn nichts zu Hause: Sein Vater ist tot, seine Mutter schon lange fort und er selbst wurde gerade aus der Jugendstrafanstalt entlassen. Bleibt noch Billy, sein achtjähriger Bruder. Billy hat Postkarten ihrer Mutter gefunden, die darauf hindeuten, dass sie in Kalifornien lebt. Zum Glück steht noch der alte Studebaker in der Garage. Doch als die Jungs gerade losfahren wollen, tauchen zwei von Emmetts Freunden aus dem Gefängnis auf. Sie klauen den Wagen und fahren damit in die andere Richtung - nach New York City. Emmett und Billy nehmen die Verfolgung auf.

Amor Towles' pralle Roadnovel erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln vom harten Leben am Rande der Gesellschaft, von Nächstenliebe und (natürlich) vom Jungsein. Dieser von zahllosen skurrilen Charakteren bevölkerte Roadtrip-Roman schaffte es auf den ersten Platz der Bestseller-Liste der New York Times.

Tschick

Wolfgang Herrndorf hat mit Tschick eine Art deutsche Jugendversion von Kerouacs Oldtimer erschaffen und damit selbst einen modernen Klassiker geschrieben – der Roman wird sogar an Schulen gelesen. Die beiden 14-jährigen Außenseiter Maik und Tschik fahren darin in einem geklauten Lada durch ein in der Sommersonne dösendes Deutschland. Ihr Ziel: die Walachei. Nur blöd, dass die beiden keine Karte, keinen Führerschein und auch sonst keinen Plan haben.

Roadtrip-Romances für Jugendliche

Kommt zur „motorisierte(n) Bildungs- und Entwicklungsgeschichte“ (Skadi Loist) auch noch der Zauber der ersten Liebe, droht Schnulzen-Alarm. Jetzt braucht es einen Autor, der sicher auf dem schmalen Grat zwischen großem Gefühl und großem Kitsch balanciert. In diesen beiden Roadtrip-Romanzen gelingt das Kunststück.

Mein bester letzter Sommer

Der 17-jährigen Tessa aus Anne Freytags Jugend-Roadnovel bleibt nur noch ein Sommer – sie leidet unter einer tödlichen Krankheit. Wütend und verzweifelt hält sie jeden auf Abstand und verschanzt sich in ihrem Zimmer. Bis sie in der U-Bahn Oskar begegnet, der ihre Kratzbürstigkeit durchschaut. Die beiden starten in Oskars klapperigem Volvo zu einem Roadtrip quer durch Italien – und Tessa stürzt sich ohne Vorbehalte in eine erste, letzte große Liebe. Für Anne Freytags Roman Mein letzter bester Sommer gab es eine Nominierung für den Deutschen Literaturpreis in der Kategorie „Preis der Jugendjury“. Judith Mauthe liest mit ganz viel Gefühl.

„Vor der Ankunft ist Platz für Hoffnung“

Peter Lau: "Fahren, um zu fahren"

Margos Spuren

John Green ist seit seinem Debüt „Eine wie Alaska“ ein sicherer Garant für emotionale, unterhaltsame und zugleich ernsthafte Jugendgeschichten. Vor seinem Bestseller „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ schrieb er mit Margos Spuren einen Romance-Roadtrip-Krimi. Darin verschwindet die 18-jährige Highschool-Schönheit Margo, hinterlässt aber absichtlich Hinweise für ihren Nachbarn Quentin (der natürlich hoffnungslos in sie verknallt ist).

Quentin macht sich mit seinen Freunden Ben, Radar und Margos bester Freundin Lacey auf den weiten Weg nach New York, um die Angebetete zu finden. Die Reise führt geradewegs durch ein Wechselbad widersprüchlicher Gefühle. Denn in die Angst um Margo mischt sich Wut über ihr inszeniertes Versteckspiel. Der österreichische Schauspieler Robert Stadlober verleiht dem Ich-Erzähler Quentin die richtige Dosis fragiler Coolness.

Von der Bromance zur Romance: Roadtrips ins Glück

Im Roadtrip-Roman der 60er Jahre repräsentierten Frauen die konservative Mehrheitsgesellschaft – folglich mussten sie zu Hause bleiben. Maximal gönnte sich der Held in den Armen einer Zufallsbekanntschaft einen Moment der Rast.

Die Straße der Pfirsiche

Dabei gab es schon vor der offiziellen Geburtsstunde des Roadmovies Geschichten, in der die Blech- zur Beziehungskiste wird. In Die Straße der Pfirsiche etwa begibt sich F. Scott Fitzgerald mit seiner frisch angetrauten Zelda auf eine abenteuerliche Reise nach Alabama; quer durchs Amerika der goldenen 1920er Jahre.

Der erste letzte Tag

Hundert Jahre später kennt die Welt eine eindrucksvolle Anzahl hochtouriger Romanzen – wobei in den meisten Fällen keine Ehepartner, sondern zwei Fremde zueinander finden. Buchstäblich abgekapselt von den Zwängen des Alltags kommen sich im Auto zwei ganz nahe, die sich unter anderen Umständen aus dem Weg gegangen wären. So wie Livius Reimer in Sebastian Fitzeks neuem Roman Der erste letzte Tag. (Achtung: kein Thriller!) Für diesen Livius hat das Schicksal eine Mitfahrgelegenheit an der Seite der unkonventionellen Lea von Arnim in petto. Die junge Frau überredet ihn auch gleich zu einem Gedankenexperiment: Was würdest du tun, wenn heute dein letzter Tag auf Erden wäre?

Übrigens: Der erste letzte Tag ist auch als Buch erhältlich.

„Die Enge des Autos, die gemeinsame Unterkunft und die zusammen erlittenen Erlebnisse tragen zu einer Nähe und Intimität zwischen den Charakteren und zur Entwicklung von Handlungskonflikten bei.“

Skadi Loist: „Roadmovie“

Drei auf Reisen

Doch in der erzwungenen Intimität des Autos können auch Menschen wieder zueinander finden, die sich innerlich voneinander entfernt haben. Eine solche Wiederannäherung schildert David Nicholls mit zarter Selbstironie und melancholischen Untertönen in seiner Roadnovel Drei auf Reisen. Nach 20 Jahren Ehe will Connie Douglas verlassen – und auch Sohn Albie ist auf dem Sprung ans College. Bei einem letzten gemeinsamen Trip durch die schönsten Städte Europas lässt Douglas die Beziehung Revue passieren und unternimmt einen letzten Versuch, seine Frau zurückzugewinnen. Ulrich Noethen liest das wunderbar feinfühlig.

Flower Power

Seit den 90er Jahren ist das Genre vielfältiger und bunter geworden. Seither übernehmen auch mal Frauen das Steuer der Erzählung – „Thelma & Louise“ lassen grüßen. Und: Auch homosexuelle Helden jeden Geschlechts leben im romantischen Roadmovie nun ihre Gefühle aus. Ein solches spätes Glück sucht die verwitwete Rosemarie in Frieda Lambertis gutgelaunter Kurzgeschichte Flower Power. In einem himmelblauen Opel Kadett macht sie sich auf, um ihre Jugendliebe wiederzufinden: die „rote Renate“.

Heiße Tage, heiße Nächte: Die schönsten Sommer-Romanzen

Die Welt ist nicht genug: Fantastische Roadtrips

Seit Douglas Adams‘ satirischem Sci-Fi-Oldie „Per Anhalter durch die Galaxis“ müssen Roadtrips nicht länger auf die uns bekannte Wirklichkeit beschränkt sein. Die Frage ist nur: Wenn das Weltalls unendlich sind – wie soll der Held dann je ans Ziel seiner Träume gelangen? Da kann die Antwort nur lauten: Der Weg ist das Ziel.

Quanten Camper Calamari

Den originellsten Trip durch Raum und Zeit seit Douglas Adams hat der Autor Aljoscha Jelinek hingelegt. In Quanten Camper Calamari begegnet der gelangweilte Spiele-Designer Andy der hübschen Tramperin Malika und ihrem sprechenden Tintenfisch Humbi. Der Roadtrip wird zur rasanten Flucht, denn das Killerduo Cheese und Maki hat es auf Malika abgesehen. Jelinkes fantastischer Roadtrip-Roman ist eine Wundertüte voller Sprachwitz, philosophischer Insider-Jokes und durchgeknallter Einfälle. Mit Uve Teschner liest auch noch einer der beliebtesten deutschsprachigen Sprecher.

Im Magazin: Die besten humorvollen Sci-Fi-Hörbücher

Der Talisman

Wenn Stephen King eine Roadnovel schreibt, ist von vorneherein klar, dass der Trip unheimlich wird. Der zwölfjährige Jack Sawyer (!) macht sich darin auf die Suche nach einem magischen Talisman, der seine kranke Mutter vor dem Tod retten soll. Der Roadtrip führt ihn von einer Küste der Vereinigten Staaten an die andere – und zugleich durch eine magische Parallelwelt, die aus Jacks Tagträumen gemacht ist. Und aus seinen Alpträumen … Wie die meisten von Stephen Kings Romanen wird auch dieser kongenial interpretiert von David Nathan.

Alle Wege führen nach Derry: Ein Roadtrip im Stephen Kings Multiverse

Klassiker: Boattrip statt Roadtrip

Wer noch Lust auf einen echten Klassiker des Genres hat: Wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf einem Floß den Mississippi herunterschippern – Jahrzehnte vor der Erfindung des Automobils – das erzählt Oliver Rohrbeck mit schlitzohrigem Charme und viel Gespür für Mark Twains beiläufigen Witz.

Huckleberry Finn

Abenteuerlicher Roadtrips für Reisen im Kopf

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