Elke Heidenreich ist die wohl einflussreichste Literaturkritikerin des Landes. Dabei würde sie sich selbst nie so bezeichnen – sie betrachtet sich als „Literaturvermittlerin“. Das passt, denn kleinteilige Analysen oder gar Verrisse sind nicht ihr Stil.

Lieber wirbt die quirlige 80-Jährige mit viel Leidenschaft für jene Bücher, die ihr selbst gut gefallen haben. Mit ihren Buchtipps trifft Elke Heidenreich fast immer den Geschmack ihres Publikums. Denn wie vielen Lesenden sind auch der Wahlkölnerin die Grenzen zwischen „ernsthafter“ Literatur und Unterhaltung herzlich schnuppe. Ein gutes Buch muss für sie Herz und Hirn gleichermaßen berühren. Hier stellen wir Elke Heidenreichs Buchempfehlungen für 2023 vor.

Buchempfehlungen von Elke Heidenreich: Romane aus dem Jahr 2023

2023 hat Elke Heidenreich schon einige Bücher gelesen und für den Spiegel oder WDR 4 rezensiert. Die folgenden Romane sind auch als Hörbuch verfügbar. Wir stellen Elke Heidenreichs Buchempfehlungen in aller Kürze vor.

22 Bahnen

Tilda hatte sich den Start in ihr Erwachsenenleben anders vorgestellt: Statt wie ihre Freundinnen in aufregenden Großstädten zu studieren, muss sie sich um ihre kleine Schwester Ida und ihre Mutter kümmern, die alkoholabhängig ist. Ihren Frust schwimmt sie sich jeden Abend im Freibad vom Leibe. Dort taucht eines Tages Viktor auf, der Bruder ihres verunglückten Freundes Ivan. Zwischen den beiden keimt eine zaghafte Liebe – und dann bekommt Tilda auch noch eine Promotionsstelle in Berlin angeboten. Alles scheint sich zum Guten zu wenden. Doch dann gerät die Situation zu Hause außer Kontrolle.

Caroline Wahl gelang mit ihrem Coming-of-Age-Roman 22 Bahnen aus dem Stand der Sprung auf die Spiegel-Bestseller-Liste. Das Debüt der jungen Rostocker Autorin wurde in den Feuilletons hochgelobt – und auch Elke Heidenreich ist angetan von diesem berührenden, sprachlich schnörkellosen Roman.

„Ein sehr authentisches, sehr dichtes, sehr nahes Buch. Ich hab es wahnsinnig gern gelesen.“
(Elke Heidenreich)

Unberechenbar

Sam Raymond lebt in Syracuse im Bundesstaat New York. Sie ist 53 und die Wechseljahre setzen ihr zu. Eines Tages kauft sie aus einem Impuls heraus einen baufälligen Bungalow in einem sogenannten Problemviertel der Stadt – und begreift erst danach, dass sie damit wohl ihren Mann und ihre pubertierende Tochter Ally verlassen wird. Zwischen Euphorie und Selbstzweifeln schwankend, startet Sam in ihr neues Leben. Doch als sie Zeugin eines Gewaltverbrechens in der unmittelbaren Nachbarschaft wird, stellt Sam ihre Entscheidung infrage.

Die US-amerikanische Schriftstellerin Dana Spiotta erzählt in Unberechenbar schonungslos ehrlich vom Älterwerden, von geplatzten Träumen und innerer Zerrissenheit. Elke Heidenreich findet den Roman „leider etwas überfrachtet“, denn neben der Kerngeschichte wird auch viel über die Stadtgeschichte von Syracuse berichtet, worauf die Kritikerin gut hätte verzichten können. Auch die Themen Gewalt, Rassismus und die Präsidentschaft von Donald Trump nehmen viel Raum ein. Dennoch kann Elke Heidenreich den Roman empfehlen.

„Die Kerngeschichte zwischen den drei Frauen ist wirklich gut erzählt und das gefällt mir.“
(Elke Heidenreich)

Biografien, Romanbiografien und autofiktionale Bücher

Elke Heidenreich scheint ein Faible für Romanbiografien zu haben. Unter ihren Buchempfehlungen für 2023 sind gleich mehrere Bücher, die sich zwar wie Romane lesen, tatsächlich aber aus dem Leben bekannter (und weniger bekannter) historischer Persönlichkeiten erzählen.

Ins Unbekannte

Im Jahre 1904 wird Sabina Spielrein mit der Diagnose Hysterie in die psychiatrische Universitätsklinik in Zürich eingewiesen. Behandelt wird sie von Dr. C.G. Jung – dem späteren Begründer der analytischen Psychologie. Sie wird seine Geliebte und Schülerin, promoviert als erste Frau überhaupt mit einer psychoanalytischen Arbeit und praktiziert später selbst als Analytikerin.

Zur gleichen Zeit träumt der Schweizer Schreinersohn Fritz Platten von einer besseren Gesellschaft. Seine Hoffnungen setzt er in den Kommunismus. Platten organisiert die Rückkehr Lenins aus dem Schweizer Exil nach Russland und rettet ihm wenig später bei einem öffentlichen Auftritt das Leben.

Lukas Hartmann verknüpft die Lebensgeschichten zweier Menschen, die sich nie begegnet sind, aber viel gemeinsam haben. Beide waren unbequeme, widersprüchliche, mutige Menschen, die schließlich unter die Räder der europäischen Geschichte gerieten. Fritz Platten starb in einem stalinistischen Lager, Sabina Spielrein wurde 1942 während des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion von Nazis erschossen. Lukas Hartmann setzt ihnen mit seiner Romanbiografie Ins Unbekannte ein Denkmal. „Ein feiner, kleiner Roman“, findet Elke Heidenreich.

„(…) Ihre Geschichten haben Parallelen – in einer Zeit, in der Menschen ihre Träume und Hoffnungen nicht so leben konnten, wie sie eigentlich wollten.  Und das beschreibt Lukas Hartmann mit sehr viel Empathie, sehr leise, sehr vorsichtig und, wie ich sicher annehme, sehr gründlich recherchiert.“
(Elke Heidenreich)

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Mann vom Meer

Ob Ostsee, Mittelmeer oder Pazifik: Schriftsteller Thomas Mann liebte nichts so sehr wie das Meer. Hier konnte er die Zwänge seines Lebens abstreifen, sich erotischen Träumereien hingeben – und auch seiner Todessehnsucht. Literaturkritiker und Autor Volker Weidermann nutzt Thomas Manns Passion als roten Faden, um das Leben des Nobelpreisträgers zu rekapitulieren. Dabei verwebt er mit leichter Hand Tagebucheinträge, Zitate aus Manns Romanen und erzählende Passagen.

Elke Heidenreich, die ihren ehemaligen „Spiegel“-Kollegen Volker Weidermann auch privat sehr schätzt, kann Mann vom Meer vorbehaltlos empfehlen.

„Also, das ist ein Buch, in dem man sich richtig verlieren kann. Ich habe es atemlos, mit Glück und Liebe, an einem Nachmittag gelesen.“
(Elke Heidenreich)

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Besser allein als in schlechter Gesellschaft

Teta Jele wurde 101 Jahre alt. Sie überlebte die spanische Grippe, das KZ und ihre Schwiegermutter. Davon erzählt ihre Nichte, die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras. Entstanden ist das zärtliche, melancholische und zugleich witzige Porträt einer eigensinnigen Frau.

Während der Corona-Pandemie konnte Adriana Altaras ihre Tante, die ihre letzten Lebensjahre in einem Pflegeheim in Norditalien verbrachte, nicht besuchen. Stattdessen haben die beiden Frauen in vielen Telefonaten Bilanz gezogen. Aus ihrem lakonischen Zwiegespräch entstand Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Elke Heidenreich fand den Roman, der viele biografische Elemente hat, einfach wunderbar.

„Es ist ein wahnsinnig witziges Buch, sehr, sehr lustige Dialoge, aber auch sehr melancholisch, denn es handelt von Einsamkeit und von diesem Leben dieser beiden Frauen, die eine im Heim, die andere verlassen in Berlin.“
(Elke Heidenreich)

Der junge Mann

Eine Autorin Mitte fünfzig beginnt ein Verhältnis mit einem Studenten, der dreißig Jahre jünger ist als sie. Es ist ein Befreiungsschlag: Sie, die sich ihr Leben lang geschämt hat – für ihre Herkunft, für ihre ungewollte Schwangerschaft, für ihre Abtreibung – genießt die leidenschaftliche Affäre in vollen Zügen. Dass sie damit ein Tabu bricht, kümmert sie nicht:

„Neben A.s Gesicht war auch meins jung! Männer wissen das seit ewigen Zeiten. Also sah ich nicht ein, warum ich es mir hätte versagen sollen.“
(Annie Ernaux: Der junge Mann)

Elke Heidenreich ist kein uneingeschränkter Fan von Literatur-Nobelpreisträgerin Annie Ernaux – was die Französin schreibt, erscheint ihr „alles etwas dürftig und (…) etwas zu persönlich“. Sie hätten den Preis eher Don DeLillo, Thomas Pynchon oder Hanya Yanagihara gegönnt. Ihre kurze, autofiktionale Erzählung Der junge Mann hat ihr dennoch gut gefallen.

„Sie schreibt sehr präzise, da sitzt jedes Wort, sie schreibt klug.“
(Elke Heidenreich)

Annie Ernaux: Was die Literatur der Nobelpreisträgerin ausmacht

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Welche Bücher empfiehlt Elke Heidenreich?

Titel

Autor

22 Bahnen

Caroline Wahl

Unberechenbar

Dana Spiotta

Ins Unbekannte

Lukas Hartmann

Mann vom Meer

Volker Weidermann

Besser allein als in schlechter Gesellschaft

Adriana Altaras

Der junge Mann

Annie Ernaux

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Foto: Bettina Flittner