Dr. Barbara Landsteiner im Interview

Barbara, ab wann darf ich meinen Kindern eigentlich Märchen vorlesen?

Ab dem Zeitpunkt, ab dem sie auf der Welt sind. Klassische Märchen wie die der Brüder Grimm oder Hans Christian Andersens sind meist unglaublich brutal. Das realisiert man aber als Kind nicht. Denn Kinder können diese Brutalität noch nicht einordnen. Diese Geschichten spielen in einem Kosmos, der weit weg ist von ihrer Realität. Das hat mit ihrer Lebenswirklichkeit nichts zu tun. Kinder hören oft selektiv. Sie suchen sich die Sachen raus, die für sie interessant sind. Und das hat nicht zwingend etwas mit einer zusammenhängenden Geschichte zu tun. Sie entscheiden häufig nach der Figur oder der Stimme, ob ihnen etwas gefällt.

Woran weiß ich, dass das Kinderbuch für meinen Nachwuchs geeignet ist?

Prinzipiell gilt: Wenn es dem Kind gefällt, kann es nicht so verkehrt sein. Die Aufmerksamkeitsspanne wächst zwar mit dem Alter. Doch die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, ist bei Kindern individuell. Wenn das Kind dabei ist und Spaß hat, dann ist es nicht falsch. Trotzdem sprechen wir Empfehlungen aus. Natürlich haben wir eine Empfehlung. Das ist aber eben genau das: eine Empfehlung. Steckt ja schon im Wort. Es gibt Kinder, die weiter sind als die Bücher, die für ihr Alter empfohlen werden. Andere Kinder sind neun Jahre alt und gruseln sich trotzdem vor dem Ghostsitter-Vampir. So sind alle verschieden.

Hörbuch Empfehlungen für Kinder: Die besten Hörbücher und Hörspiele für jedes Alter

Barbara Landsteiner

Bei Audible haben wir die Einteilung bis sechs Jahre, ab sechs und ab acht. Wer bestimmt die Einstufung der Hörbücher bei Audible?

Wenn ein Titel auf einer Buchvorlage basiert, gibt es Verlagsempfehlungen. Die sind aber oft nicht zutreffend für das Hörbuch – oft gibt es da eine Diskrepanz von zwei bis drei Jahren. Das heißt, einen Titel den das Kind noch nicht selbst lesen kann, könnte es aber durchaus hören. Das liegt daran, dass sich die Lesefähigkeit sich in den letzten Jahren nicht verbessert hat. Durch audiovisuelle und digitalen Medien haben die Kinder aber einen anderen Konsum von Inhalten und Geschichten erlernt und damit haben sie einen anderen Anspruch an ihre Unterhaltung. Die kognitiven Fähigkeiten haben sich also im Vergleich zu den Lesefähigkeiten sehr wohl verändert. Mit anderen Worten: Das, was sie spannend fänden, können sie oft noch nicht selbst lesen, aber durchaus hören.

Was sind also Deine Kriterien für Hörbuchempfehlungen für Kinder?

Ein Kriterium ist Länge: Je jünger das Kind, desto kürzer der Content. Das Konzentrationsvermögen wächst langsam mit dem Alter. Je jünger das Kind, desto repetitiver darf der Content sein. Für Kinder unter vier spielen Musik, Rhythmen, oder auch Reime eine große Rolle. Je jünger das Kind, desto eher bevorzugen sie Hörspiele vor Hörbüchern. Durch das Sounddesign und die verschiedenen Stimmen wird ihre Aufmerksamkeit immer wieder neu stimuliert. Ab Acht biete ich dann auch ein Hörbuch an. Psychologisch fangen Kinder in dem Alter an, sich abzunabeln und einen eigenen Geschmack zu entwickeln. Mit Acht hat man seine erste Peergroup, also wichtige Bezugspersonen außerhalb der Familie gefunden und die intellektuellen Fähigkeiten werden geschult für komplexere Zusammenhänge.

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Mit anderen Worten: Für Sechsjährige suchen die Eltern aus, Achtjährige übernehmen das selbst?

Zumindest reden die Achtjährigen sehr deutlich mit. Die nächste Schwelle ist dann zehn Jahre: Das fällt bereits in den Tween-Bereich. Viele Kinder haben dann bereits ein eigenes Smartphone oder Tablet und einen Zugang zum Internet. Young Adult geht dann von 12 bis 16. Das sind dann auf jeden Fall Jugendbücher. Generell orientieren sich Kinder altersmäßig gerne nach oben, weshalb die Identifikationsfiguren auch oft ein paar Jahre älter sind als die Zielgruppe.

Was macht man denn dann mit den Hörbüchern von den Brüdern Grimm? Die sind ja nun nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, Kinder zu essen und Hexen zu verbrennen.

Klassische Märchen sind ein Kulturgut. Und manchmal gruselt man sich ja auch gerne. Nicht ohne Grund ist das Horrorgenre so beliebt. Aber Gewalt ist natürlich ein Thema. Wie und warum Gewalt dargestellt wird, muss man sich im Kinderbuch genau überlegen. Man darf Gewalt nicht als Spannungsmotiv oder Mittel zum Zweck verwenden. Und es muss immer eine Lösung angeboten werden. Wenn Kinder sich schlagen, muss man das thematisieren. Es sollte Konsequenzen und eben eine Auflösung haben – ohne dabei belehrend zu wirken.

Was macht denn für dich ein gutes Kinderhörbuch oder Kinderhörspiel aus?

Ich habe in der Vergangenheit immer wieder mal gehört: Ach, für Kinder reicht das. Das ist tödlich. Kinderhörspiele und Kinderhörbücher haben die gleichen dramaturgischen Ansprüche wie wie Literatur für Erwachsene. Für mich gehört zu einem guten Hörspiel oder Hörbuch, dass man Kinder abholt, wo sie sind. Wenn man ein Hörspiel in der Realität verortet, muss es auch die Realität sein. Fast 40 Prozent der Kinder unter sechs Jahren haben einen Migrationshintergrund, 25 Prozent erleben Kinderarmut. Anna und Lena in der Villa im Grünen repräsentieren nicht das typisch deutsche Kind. Unterschiedliche Herkunft, Familienkonstellationen, finanzieller Background – das muss sich in Kinderliteratur widerspiegeln. Die Figuren müssen Schwächen haben und auch mal Fehler machen dürfen. Ansonsten ist alles wie bei den Erwachsenen: Liebe zum Detail, logischer Aufbau und bitte immer unterhaltend. Ich bin selbst Riesenfan von unserer Ghostsitter-Serie. Die vereint in meinen Augen alles: lustig, spannend, toller Cast und eine menschliche Figur, die sich ihrer Stärken erstmal bewusstwerden muss.

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Ab welchem Alter sind Hörspiele für Kinder geeignet? Ab wann sind Hörbucher eine gute Wahl?

Dies kann von Kind zu Kind grundverschieden sein, denn das hängt von der Entwicklung und von den Vorlieben des Kindes ab. Grundsätzlich sind altersgerechte Hörspiele aber bereits für die ganz Kleinen, direkt nach der Geburt, geeignet. Hörbücher treffen in der Regel erst später den Geschmack der Kinder. In ganz jungen Jahren bevorzugen sie den Soundmix der Hörspiele. Hörbuchempfehlungen für Kinder gehen daher ab circa acht Jahren los.

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