Skandinavien hat es geschafft. Und Schweden sowieso. Das Bild unserer nordischen Nachbarn ist unerschütterlich gut. Ein Sehnsuchtsort mit viel Raum. Auch für die eigenen Fantasien. Dabei basiert unser Schwedenbild auf drei tragenden Säulen: Königshaus, Einrichtungshaus und Bullerbü. Die Monarchie ist ja ein eher vorzeitliches Staatskonzept, gegen das man aus recht guten Gründen mal auf die Straße gegangen ist. Die Älteren erinnern sich an Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Und ausgerechnet das verbinden wir Deutschen irgendwie mit einem Land, bei dem das Staatsoberhaupt den Job bekommen hat, weil es den Vorgänger von klein auf kennt. Die Skandinavier schaffen es irgendwie, dass ihr Hochadel besonders knuffig rüberkommt. Aber das ist ja ohnehin so, dass wir denen und Dänen so einiges durchgehen lassen, was hierzulande Montagsdemonstrationen in ungeahntem Ausmaß hervorrufen würde. Tempolimit – Ach, herrlich entschleunigt! Steuerbescheid öffentlich ausgehängt – Toll, das stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Stabil hohe Steuern – Da funktioniert der Sozialstaat noch! IKEA wiederum holt uns emotional genauso ab, wie wir deren Möbel. Und die sind noch nicht einmal fertig zusammengebaut. Bei IKEA reicht ein bisschen Hej und ein wenig Duzen und wir glauben, dass wir die heimische Zweiraumwohnung ganz individuell von unserem nordischen Freund haben gestalten lassen. Und das bei 77 Millionen verkauften Billy-Regalen. Das ist so, als würde man das Fahren eines VW Golf als sympathischen Ausdruck von leicht verspielter Individualität betrachten. Und von dem sind nicht einmal die Hälfte der Billyg-Regale zusammengeschraubt worden. Um die Dreifaltigkeit unseres Schwedenbildes vollzumachen, fehlt nur noch sie. Die Säulenheilige der längst nicht mehr so alternativen Kindererziehung. Astrid Lindgren. Schweden ist Bullerbü. Fertig. Auf Schwedisch heißt die Heimat unserer kindlichen Träume Bullerbyn. Das bedeutet Lärmdorf. Humor hatte die Dame. Der Erfolg der Bücher rund um Karlsson, Michel und Pippi basiert natürlich auf der Idee, dass Kinder ihren eigenen Kopf haben. Und das finden auch Eltern toll. Zumindest theoretisch. Bei Licht betrachtet ist Pippi eine Systemsprengerin mit einem gewaltigen Problem im Umgang mit ihren erwachsenen Mitmenschen. „Nicht gemeinschaftsfähig“ wäre der wohl passende Fachterminus. Und auch Michels Geschichten könnten ja viele Sitzungen bei einem Familientherapeuten nach sich ziehen. Das übernimmt sogar die Krankenkasse. „Michel muss mehr Männchen machen“ ist daher eher eine Forderung als eine Feststellung. Aber so ist unser Schwedenbild. Was hier nicht geht, ist da fantastisk. Und das finden die Schweden auch. Die deutschen Beiträge zur Kinderliteratur fallen dagegen etwas ab. Wie Michel und Pippi leben Max und Moritz selbstbestimmt und eher unkonventionell. Aber Leichtigkeit und Witz ersetzen sie durch schlichte Boshaftigkeit, die Pranks sind eher cringe. Und sie wohnen nicht in Schweden. Zudem enden sie als Entenfutter. Sheesh! Ganz einzigartig ist der Struwwelpeter. Finger abschneiden, ertrinken, verbrennen, verhungern. Man will ja gar nicht wissen, was da bei „Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, interessieren sich auch für“ erscheint. Wenn man das auf der Bettkante eines Fünfjährigen vorgelesen hat, braucht man erst mal einen Schnaps. Der Vorleser auch. Apropos Schnaps. Alkohol ist in Schweden ein heikles Thema. Trinken in der Öffentlichkeit ist verboten, alles über 3,5 % gibt es nur in staatlichen Monopolläden, den Systembolaget. Und erst ab 20 Jahren. Schon diese kleine Tatsache würde in deutschen Schützenfestregionen zu Teer, Federn und brennenden Fackeln greifen lassen. Ganz anders in Schweden. 500.000 Flaschen Absolut Vodka verlassen jeden Tag das Werk in Åhus. Nur um weltweit Schluck für Schluck ein wenig schwedische Lebensart zu verbreiten. Skål! Dies – und vieles mehr – in der 26. Folge von: Ungefährliches Halbwissen – The Last Missing Podcast.
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