Am 10. September erscheint der neue Roman von Stephen King, Das Institut, weltweit zeitgleich, unter anderem als Audible Hörbuch. Der Protagonist ist Luke Ellis, ein Zwölfjähriger mit paranormalen Fähigkeiten, der entführt und zusammen mit anderen Kindern in eben jenem „Institut“ des Buchtitels gefangen gehalten wird.

Kinder und Jugendliche setzt King häufig als Protagonisten seiner Erzählungen ein, zum Beispiel in Es, Friedhof der Kuscheltiere oder auch Carrie und Feuerkind. Vielleicht weil sich mit ihnen eine besonders gute Geschichte vom Reifen an übermenschlichen Herausforderungen erzählen lässt: die Kinder müssen in Kings Geschichten vorzeitig erwachsen werden, um in Extremsituation zu überleben, wie etwa dem Kampf mit Monstern und Zombies oder auch prototypischen menschlichen Bösewichten. Nicht selten geht es bei ihm auch um Heranwachsende mit paranormalen Fähigkeiten, wie Carrie und Charlie aus Feuerkind.

Es
Das Institut

Doch was steckt dahinter: sind das einfach nur gut ausgedachte Geschichten, um einen besonders unheimlichen Horrorplot zu entwickeln oder gibt es tatsächlich Menschen mit paranormalen Fähigkeiten? Und wenn ja, was genau daran ist Fakt und was ist Fiktion? Das Audible Magazin sprach mit Walter von Lucadou, dem Gründer und Leiter der Parapsychologischen Beratungsstelle in Freiburg, der in seiner beruflichen Laufbahn bislang zwar noch keinem Geist, aber vielen Scharlatanen begegnet ist.

Interview mit Walter von Lucadou

Was genau ist eigentlich Parapsychologie?

Die Parapsychologie ist die Wissenschaft, die sich um bisher unverstandene oder ungewöhnliche menschliche Erfahrungen kümmert, aber dies mit den üblichen Methoden der Human- und Sozialwissenschaften oder der Naturwissenschaft. Parapsychologie beschäftigt sich nicht als Solches mit Geistern, Wünschelruten oder Telepathie, sondern sie untersucht die Behauptung, dass es so etwas gäbe, mit wissenschaftlichen Methoden. Diese Definition ist vielen Leute nicht bekannt und deswegen hat Parapsychologie so ein negatives Image, vor allem, weil das ja auch keine geschützte Berufsbezeichnung beinhaltet. Es gibt beliebig viele Leute, die sich als Parapsychologen bezeichnen – ich tu das ja zum Beispiel nicht –, um sich damit eine besondere Qualifikation zu behaupten, die sie aber nicht haben, weil Parapsychologie gar kein Studienfach ist.

Carrie

Sie haben Physik und Psychologie studiert – das ist eine ungewöhnliche Kombination. Haben Sie sich schon immer für das Feld der Parapsychologie interessiert?

Ja, deswegen habe ich Physik und Psychologie gleichzeitig studiert, weil ich’s wissen wollte. Ich hatte schon als Schüler ein Buch gelesen, in dem über parapsychologische Phänomene berichtet wurde. Ich hab das damals gar nicht geglaubt, aber gedacht, wenn da auch nur ein Promill dran wahr sein sollte, dann haben wir in der Physik etwas noch nicht richtig verstanden – und das wollte ich rausfinden. Und in einer gewissen Weise kann ich sogar sagen, dass sich diese fünfzigjährige Arbeit gelohnt hat, weil wir heute eine ziemlich klare Vorstellung von dem haben, was hinter diesen paranormalen Phänomenen steckt. Wahrträume, Ahnungen, Spukphänomene haben eher einen protektiven Charakter, sie sollen dem Menschen nützen. Sie gehören zu den Naturphänomenen. Natürlich gibt es so viele offene Fragen wie in jedem Bereich der Wissenschaft, dass es unrealistisch wäre, wenn wir behaupten würden, wir hätten paranormale Phänomene bis ins Detail verstanden. Aber wir haben recht gute Erklärungsmodelle, die sich experimentell überprüfen lassen, und wir wissen, wovon wir reden.

Was ist denn genau Ihr Alltag? Womit befassen Sie sich?

Ich befasse mich jeden Tag mit Menschen, die solche paranormalen Phänomene erlebt haben und erst mal ganz zögerlich sind: „Bitte halten Sie mich nicht für verrückt, aber ich habe das und das erlebt“. Oder: „Ich nehme keine Drogen, ich bin auch nicht betrunken, aber ich habe gestern abend in meiner Wohnung eine dunkel gekleidete Person stehen sehen, ich denke, das ist ein Dämon, ich hab grad wahnsinnige Angst und ich weiß nicht, was das war.“ Wir geben den Leuten Ratschläge, wie sie mit solchen Erlebnissen umgehen. Das ist genau der Punkt: wir haben’s hier nicht mit übernatürlichen Phänomenen zu tun, schon gar nicht mit Geistern von Verstorbenen, obwohl die als Einkleidung häufig verwendet werden. Wir können den Leuten praktisch sagen, was zu tun ist und wie man den Spuk beendet. Es gibt eine Doktorarbeit einer früheren Mitarbeiterin, Frauke Zahradnik, die Briefe, die an unsere Beratungsstelle geschickt wurden, analysiert hat. Dort lassen sich viele solcher Anfragen nachlesen.

Wenn es sich nicht um übernatürliche Phänomene handelt, worum handelt es sich denn bei paranormalen Ereignissen?

Es ist so, dass es eine Reihe von Anschauungen oder Bildern – ich nenne das „Einkleidungen“ – existieren, die Menschen schon immer verwendet haben, sogenannte Anthropomorphismen. Früher hat man gesagt, wenn’s gedonnert und geblitzt hat, da tobt der Donnergott oder gar ein Dämon, weil der Mensch immer Dinge, die er nicht durchschaut, vermenschlicht. In dem Sinne werden Erscheinungen, wir sprechen von „Apparitions“, in der Psychologie als Halluzinationen bezeichnet, aber viele Menschen sagen dann halt, „Das ist ein Geist“. Dann wird natürlich eine Annahme gemacht: „Das ist der Geist eines Verstorbenen“.

Eine Grundlage zahlreicher Spukromane und Horrorfilme!

Richtig, darin wird diese sogenannte „spiritistische Hypothese“ angewendet, dass paranormale Phänomene von Geistern von Verstorbenen erzeugt werden. Und zwar in einer polarisierenden Version, dass die Geister böse sind und dass man sich dagegen wehren muss. Die Praxis lehrt, dass solche Erscheinungen keineswegs gefährlich sind, dass sie den Menschen auch nicht schaden. Diese Horrorvorstellung, die dort gern bemüht wird – ich hab natürlich überhaupt nichts gegen diese Literatur, ich les sie ja zum Teil auch – hat eher eine literarische Begründung. Denken Sie an H. P. Lovecraft, der ja zu den Pionieren des Horrorgenres zählt, etwa mit dem Cthulhu-Mythos. Lovecraft hat ja nicht selber geglaubt, dass irgendwelche Reptiloiden auf der Welt ihr Unwesen treiben, er hat das Bild als literarische Form benutzt, um bestimmte sozialpsychologische Aspekte zu beleuchten. Es geht um eine Auseinandersetzung von Gut und Böse, es geht darum, wie Menschen mit ihrer Vergangenheit umgehen, mit den berühmten Leichen im Keller. Das heißt es ist eigene Kunstgattung, die auch ihre eigenen Gesetze hat und die sich aus diesen Bildern bedient, die Menschen benutzen, diese Einkleidungen, um paranormale Erfahrungen zu beschreiben. Die objektiv aber gar nicht real oder richtig sind.

Necronomicon

Gerade bei Stephen King gibt es häufig Protagonisten mit paranormalen Fähigkeiten, ich denke da an Carrie oder auch Feuerkind.

Carrie ist ein interessantes Beispiel. Die Protagonistin ist ja ein pubertierendes Mädchen, das Unheil stiftet. Das greift einen Umstand auf, der durchaus bekannt ist in der wissenschaftlichen Literatur: Spukfälle, in deren Mittelpunkt pubertierende Jugendliche stehen. Da geht’s natürlich nicht so wild zu wie bei Carrie, aber immerhin thematisiert dieser Roman, dass die Pubertät für einen jungen Menschen eine einschneidende Phase und auch eine schwierige Lebensphase darstellt. Allein die Phänomenologie des Spuks ist maßlos übertrieben.

Wie realistisch ist denn eine derartige telekinetische Zerstörungskraft wie die, über die Carrie verfügt?

Das ist eine Kritik, die ich an vielen Werken dieses Genres habe: Es wird von Fähigkeiten gesprochen, also paranormalen Fähigkeiten. Das ist schon mal ganz falsch. Denn es ist keine Fähigkeit – das heißt ja, dass ich etwas gezielt tun kann, also wenn ich die Fähigkeit habe Piano zu spielen, dann habe ich das gelernt und perfektioniert. Fähigkeiten wie solche, über die Carrie verfügt, können in der nichtfiktionalen Welt nicht erworben werden, die können auch nicht trainiert werden, sondern das sind eher spontane, unbewusste Entladungen. Wir sprechen von einer Embodiment-Störung.

Firestarter

Wie ist das zu verstehen?

Der Begriff Embodiment wird in der modernen Kognitionswissenschaft und übrigens in der Robotnik verwendet, um zu beschreiben, dass der Mensch immer in einer engen Wechselwirkung mit seiner Umgebung steht, mit seiner Wohnung, seiner Gegend, seiner Kultur, seiner Sprache, eben allem, worin der Mensch eingebettet ist, sein Gehäuse gewissermaßen. Das Embodiment ergibt sich aus der vielfältigen Wechselwirkung – wir sprechen auch von Selbstorganisation – des Menschen mit seiner Umgebung. Und bei der Embodiment-Störung, vulgo: Spuk, ist es eben so, dass die seelischen Spannungen, die so ein junger Mensch auszuhalten hat, weil er vielleicht Probleme mit der Ablösung von den Eltern hat oder mit der Schule, sich in diesem Embodiment ausdrücken und diese Umgebung „stören“. Es passieren also merkwürdige Dinge in der Umgebung und es ist im Allgemeinen überhaupt nicht feststellbar, ob die jetzt bewusst, unbewusst oder – ich verwende jetzt mal diesen Begriff, auch wenn er wissenschaftlich nicht korrekt ist: psychokinetisch ausgelöst werden.

Ich habe so ein Modell entwickelt, das besagt, dass diese Embodiment-Störungen, vulgo: Spuk, psychosomatische Störungen sind, die außerhalb des Körpers stattfinden. Wenn ich etwa eine psychosomatische Störung entwickele, weil ich Probleme mit dem Chef habe, dann setz ich diese Störung ja nicht gezielt ein, sondern sie geschieht. Und in dem Sinne suggeriert diese Vorstellung von paranormalen Fähigkeiten etwas Falsches. Das ist literarische Fiktion, wenn Carrie, weil sie Frust hat, qua paranormaler Fähigkeit Gegenstände schweben lässt oder zerstört. So funktioniert es eben gerade nicht. Es gibt auf unserer Homepage eine Schrift von mir, in der dieses Spukmodell vorgestellt wird.

In Das Institut, dem neuen Buch von Stephen King, wird ein Junge mit paranormalen Fähigkeiten in einem Institut gefangen gehalten, das diese Fähigkeiten ausbeuten möchte. Wie nah an der Realität liegt diese Vorstellung?

Das geht gar nicht, das ist ja gerade der Punkt. Da gibt’s natürlich viele bekannte Vorläufer, etwa die Serie Das blaue Palais von Rainer Erler, aus den Jahren 1974–1976, das ist so ein fiktives Forschungsinstitut, in dem ebenfalls paranormal begabte Leute trainiert werden sollen, um der Wissenschaft zu dienen. Es gibt auch eine wunderbare Satire aus dem Jahr 2009, „Männer, die auf Ziegen starren“. Die hat reale Personen als Grundlage, ich kenne die tatsächlich alle persönlich. Das bezieht sich auf die Tatsache, dass im Stargate-Projekt, das in den USA, in Fort Meade, 1978 vom DIA (Defense Intelligence Agency – dem militärischen Geheimdienst) finanziert wurde, Leute mit solchen Begabungen zu Geheimdienstzwecken requiriert wurden, die auch Experimente durchlaufen haben. Das Stargate-Projekt wurde aufgegeben, weil es eben genau das nicht erbracht hat, was man sich erhofft hatte, dass sich paranormale Äußerungen gezielt einsetzen lassen, um damit Gutes oder Böses tun. Das ist eben in der Literatur und im Film nur so dargestellt, das gehört auch fest zum Genre.

Die Phänomene als solche treten aber schon auf?

Ja, aber dazu muss man auch einiges sagen. Das sind keine übernatürlichen Phänomene, wir haben sogar eine naturwissenschaftliche Theorie entwickelt, was dahinterstecken könnte. Es sind Embodiment-Phänomene und sogenannte Verschränkungszusammenhänge, die in hochkomplexen, selbstorganisierenden Systemen entstehen können. Das ist etwas, was man aus der Physik und sogar aus der Biologie kennt, hier sozusagen in einer Erweiterung ins sozialpsychologische Gebiet hinein. Die Theorie steht noch nicht in den Lehrbüchern, aber wird von ganz normalen, ernstzunehmenden Wissenschaftlern gegenwärtig diskutiert und experimentell überprüft.

Führen Sie auch Testreihen durch?

Ich bin ja Wissenschaftler und ich habe über die Jahre, denke ich, die meisten wissenschaftlichen Experimente zum Thema Parapsychologie in der Bundesrepublik durchgeführt. Die sind alle publiziert.

Gibt es ein wissenschaftliches Instrumentarium aus dem Bereich der Neurologie in Bezug auf paranormale Ereignisse?

Es sind auch Untersuchungen gemacht worden, die gerade neurophysiologische Paradigmen aufgreifen, von Kollegen in den USA und in den Niederlanden, Dean Radin und Dick Bierman, sogenannte „Presentiment-Experimente“. Das sind EEG-Ableitungen, an denen zu sehen ist, dass das Gehirn bei emotionalen Inhalten schon ein paar Millisekunden vorher weiß, was da kommt, auch wenn es das eigentlich noch nicht wissen kann. Das spricht sehr stark für die Modelle, die wir entwickelt haben, dass es sich hier um einen realen Effekt handelt. Aber der hat eben nicht diese Eigenschaften, die in der Horrorliteratur gerne benutzt werden. Paranormale Phänomene, die als übersinnlich, übernatürlich gelten, sind Eigenschaften unserer Kognition, unseres Gehirns, die lassen sich wissenschaftlich untersuchen. Die damit verbundenen Ängste und Befürchtungen sind also nicht gerechtfertigt.

Wer ist Walter von Lucadou?

Walter von Lucadou gründete 1989 die parapsychologische Beratungsstelle der Wissenschaftlichen Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie in Freiburg, die er seitdem leitet. Er fungierte unter anderem als wissenschaftlicher Berater zur sechsteiligen ARD-Dokumentation Dimension PSI (2003).

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