Auf der Toilette liegen kostenlos Menstruationsprodukte bereit, auch für Transmänner. Wenn die Kollegin wegen starker Regelschmerzen nicht arbeiten kann, nimmt sie zwei Tage Periodenurlaub - und niemand lästert darüber.

Dass solche Szenen selbstverständlich werden, dafür möchte Inga Weßling mit ihrem Audible Original Podcast Wer hat Angst vor Blut eine Lanze brechen. In zwölf Folgen, die sich ausdrücklich nicht nur an menstruierende Cis-Frauen wenden, sondern auch an Cis-Männer, Transmenschen, einfach an alle, geht es um Aufklärung, Medizin, Wirtschaft, Nachhaltigkeit oder Politik. Aber nicht nur. Es geht vor allem um eines: offen darüber zu reden.

“Mich hat es wütend gemacht, dass es immer noch so viel Stigmatisierung gibt”, sagt Inga. “Ich war auch genervt von Vorgesetzten, die gesagt haben: ‘Das ist mir too much information.’ In der Medienbranche werden immer noch Praktikantinnen eingestellt, weil sie tolle Brüste haben, aber wir können nicht über die Periode reden? Es tut mir leid, das gehört zu Frauen dazu.”

Gerade junge Menschen, die erst mit der Menstruation anfangen, möchte Inga mit ihrem Podcast abholen, ihnen “ein bisschen Beruhigung geben und vor allem das Gefühl: Das gibt es alles, und das darf auch sein”.

Wer hat Angst vor Blut? (Original Podcast)

Warum ist Menstruieren immer noch tabu?

Schweigen liegt in der Natur von Tabus - und in deren Absicht. Schweigen entmachtet. Die Menstruation ist auch in scheinbar aufgeklärten Zeiten immer noch ein Thema, über das zu wenig bis gar nicht geredet wird. Und wenn, dann oft negativ oder sogar abfällig. Woher kommt das?

“Process is slow”, sagt Inga Weßling. “Das betrifft auch den gesellschaftlichen Prozess. Wenn man sich überlegt, wie viele Jahrhunderte der Stigmatisierung hinter der Menstruation liegen, wundert es mich überhaupt nicht, dass wir es 2022 als Erfolg empfinden, wenn in der Werbung das Blut auf der Binde rot ist statt steril blau.”

Reinheit und körperliche Perfektion. Das war - und ist, wenn man sich die Darstellung in den Medien anguckt - immer noch das weibliche Ideal. Wenn wir ehrlich sind, wird dieses Bild nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen gefüttert. “Wir klammern gerne”, sagt die Podcasterin. “Das hat etwas mit Sicherheitsdenken zu tun. Dazu gehört auch das Bild von der reinen Frau, die weder kackt, noch kommt Blut aus ihrer Vagina.”

Entabuisierung fängt in der Schule an

Reden hilft. Reden enttabuisiert, lässt scheinbar Unaussprechliches verschwinden und mit jeder Wiederholung zu etwas Normalem werden. Der Anfangspunkt dafür liegt natürlich in einer guten und frühen Aufklärung. Die Schule spielt dabei eine wichtige Rolle. Und zum Glück gibt es inzwischen Lehrerinnen und Lehrer, wie im Podcast vorgestellt, die ihre Schulklassen unverklemmt und spannend über die Menstruation und den weiblichen Körper aufklären. Dazu kommen YouTube-Kanäle, Podcasts wie dieser - und natürlich auch Hörbücher, die modernstes Wissen unterhaltsam vermitteln.

Unverschämt

Ignoranz gegenüber Frauen - auch in der Medizinforschung

Dass dies dringend nötig ist, zeigt ein Blick in die Medizin: Inzwischen ist bekannt, dass Frauen (und erst recht Transmenschen und Nicht-Binäre) gefährlicher leben, weil als Standard immer noch vom cis-männlichen Körper ausgegangen wird, wenn es um Diagnostik und Medikation geht. Werden Frauen in Studien einbezogen, geschieht dies zu dem Zeitpunkt ihres hormonellen Zyklus, wo sie dem Männlichen am nächsten kommen.

Unsichtbare Frauen

Das hat Folgen, teils sogar tödliche, wie Caroline Criado-Perez in ihrem Bestseller Unsichtbare Frauen über das Gender Data Gap belegt: Frauen sterben aufgrund falscher oder zu später Diagnosen oder verkehrt dosierter Medikamente.

Oder sie leiden lebenslang unter ungenügend bekannten und erforschten, typisch weiblichen Erkrankungen. Wie die Endometriose, die jede zehnte Frau betrifft, zu extremen Schmerzen führt, und ein häufiger Grund für den unerfüllten Kinderwunsch ist. Speziell dazu gibt es das aufklärende Hörbuch einer Autorin, die selbst viele Jahre auf die richtige Diagnose und Behandlung wartete:

In der Regel bin ich stark

Es ist Zeit umzudenken. Zeit, den weiblichen Körper, von der ersten Menstruation bis hin zu den genauso tabuisierten Wechseljahren, nicht mehr als schwierig oder problematisch anzusehen. Sondern, wie Inga Weßling findet, einen “liebevolleren Blick” dafür zu entwickeln - und auf den weiblichen Zyklus und die zugehörige Blutung nicht nur neugierig, sondern auch stolz zu sein.

Die Podcasterin nutzt dafür ein plastisches Bild: “Der weibliche Körper ist wie der Motorraum eines Porsche. Der von Männern ist eher wie ein Seat.” Sie betont, dass sie das ganz liebevoll meint: “Es ist doch allen klar, dass Dinge, die komplizierter und krasser sind, auch anders gewartet werden müssen. Und ich denke, kein Mann geht protesierend auf die Straße, wenn wir alles auch an dem komplizierteren Körper testen. Ich hätte doch Bock zu wissen, was in den Körpern abgeht, die dafür sorgen, dass wir uns weiter fortpflanzen!”

Das gilt für die Wissenschaft genauso wie für den Alltag, in Paarbeziehungen, unter Kolleg:innen, im Freundeskreis.

Verhütung ist (k)eine Frauensache

Womit wir gleich bei einem medizinischen Thema sind, bei dem Frauen immer noch systematisch benachteiligt werden, und zwar im umgekehrten Sinne: Verhütung. Es gibt inzwischen zig Methoden, um eine Schwangerschaft zu verhindern - und bis auf eine (das Kondom) müssen alle von Frauen angewendet werden, oft mit erheblichen Nebenwirkungen, die sogar lebensgefährlich werden können. Dass die Pharmaindustrie kaum Interesse zeigt, Verhütungsmittel für Männer zu entwickeln, ist bezeichnend und gesundheitlich folgenreich.

Wie uns die Pille verändert

Menstruationsblut: Ein geiles Zeug

Warum drehen wir das nicht mal ins Gegenteil? Warum, fragt Inga Weßling, machen wir aus einer vermeintlichen Schwäche keine Stärke? Das könnten wir doch den Männern nachmachen: “Wie stolz die auf ihr Sperma sind!”, sagt Inga. “Das schmeckt nicht, das klebt, das hat man nicht gern auf dem Laken. Daran ist nichts, wo man sagt, das sei eine tolle Körperflüssigkeit. Wenn wir es schaffen, das Menstruationsblut so abzufeiern wie Sperma, dann haben wir es geschafft!”

In einer Podcast-Folge schaut Inga sich das Periodenblut mit einer Wissenschaftlerin genauer an. Die Erkenntnisse sind bestens geeignet, um Ekel durch Bewunderung zu ersetzen.

Periode ist Power. Menstruierende, die über ihren Körper und ihren Zyklus genau Bescheid wissen, können das nutzen, und es gibt immer mehr Tools dafür. “Wir können doch schon unsere Launen nach der Zyklus-App abchecken”, sagt Inga. “Wir sind so in Touch mit unseren Körpern. Ich weiß genau, wann ich ins Fitnessstudio gehe und mich am besten auf die Hantelbank lege.”

Die Menstruation und den Hormonzyklus positiv zu nutzen, und sogar als natürliche Superkraft zu begreifen, ist auch das Credo des englischen Bestsellers Period Power.

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Period Power

Periode ist Power - und politisch

Wo es um Power geht, geht es auch um Macht. Und Periode ist politisch, wie Franka Frei in ihrem Manifest über das Menstruationstabu aufzeigt. Auch in Inga Weßlings Podcast kommen politische und wirtschaftliche Aspekte der Menstruation zur Sprache. Menstruierende werden vom System vielfach benachteiligt, ob es um Kosten geht, Arbeitsrecht oder an sich einfache Dinge, wie das immer noch nicht gesetzlich vorgeschriebene Ausweisen von Inhaltsstoffen auf einer Tamponpackung.

Gleichbehandlung ist ein Mythos. Denn Männer sind anders als Frauen; Transmenschen und Nicht-Binäre wieder anders. Das sind verschiedene Körper. Die kann man nicht gleich behandeln. Aber man kann für Gleichberechtigung sorgen.

Periode ist politisch
Untenrum frei

Miteinander statt gegeneinander

Während Bücher wie Untenrum frei von der Kolumnistin Margarete Stokowski eine kämpferisch-feministische Haltung einnehmen, “Female Empowerment” auf ihre Fahne schreiben und sich gegen das Patriarchat wenden, plädiert Inga Weßling zwar auch für das Lautsein, aber vor allem miteinander: “Es muss sich nicht jeder ins Gefecht stürzen. Es geht darum, die Leisen mitzuziehen, sich zu solidarisieren und gegenseitig unter die Arme zu greifen. Immer dieses ‘pro-maskulin’, ‘pro-feminin’! Wie wär’s denn mit ein bisschen mehr Humanismus?”

Solidarität ist das Stichwort: Sich einfach für die fehlende Kollegin stark machen, wenn wieder der Spruch “Die hat bestimmt ihre Tage” fällt. Die Abwesenheit nicht für Konkurrenz nutzen, sondern einander unterstützen. Gemeinsam Regelungen finden, mit denen allen geholfen ist. Und immer, immer wieder: ganz normal darüber reden.

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Gendern: Sprache als Gleitgel

Inga Weßling plädiert für Gemeinsamkeit - auch bei der Sprache. Im Podcast wird sehr bewusst gegendert. Und wie überall sonst auch, finden die einen das gut, die anderen regen sich darüber auf. Die Entscheidung zu gendern haben Inga Weßling und ihre Podcast-Kolleginnen bewusst getroffen. Zwar wäre es Inga auch lieber, das Gender-Thema ließe sich spielerischer und mit weniger Krampf handhaben, aber Sprache besitzt nun einmal viel Macht. “Es geht einfach darum zu suggerieren: Hier ist ein Tisch, und ich habe für jeden von euch einen Stuhl. Und wenn Sprache das leisten kann, dass jeder einen Stuhl bekommt, benutze ich eben den Stern oder nehme mir eine Sekunde mehr Zeit. Für mich ist Sprache das Gleitgel: Es geht leichter rein!”

Wer sich für die Macht der Sprache interessiert, findet dazu in Kübra Gümüsays Sprache und Sein erhellende Erklärungen und Thesen. Im Hörbuch geht es dabei nicht primär ums Gendern, sondern um den Einfluss und Einsatz von Sprache als Machtinstrument, um welche Kategorien auch immer es geht, wie Geschlecht, Religion, Nationalität.

Sprache und Sein

Die Periode und der Sex

Menstruation und Sexualität - das gehört natürlicherweise zusammen (und trifft unter Umständen auch mal zusammen). Wer selbstbewusst und offen mit seiner Periode umgeht, fühlt sich mit sich selbst wohler. Dieselbe gesunde Mischung aus Wissen und Unverklemmtheit ist auch für den Umgang mit Sexualität gut. Kaum überraschend, gibt es über Geschlechtsteile noch genauso viele Ammenmärchen (wie über das Jungfernhäutchen) und Unwissenheit wie über die Menstruation. Es ist regelrecht bestürzend, dass erst seit Kurzem die Klitoris in Schulbüchern korrekt abgebildet wird - nein, sie ist nicht erbsengroß; das ist nur ein kleiner Teil von ihr.

“Wir sind Wesen, die komplett auf Sexualität und Lust ausgerichtet sind”, betont Inga. “Unsere Körper sind darauf ausgerichtet, dass es Spaß machen soll. Wenn man darüber redet, lässt man umso mehr Lust in sein Leben.”

Sie hat Bock

Das tun auch immer mehr Autorinnen - wie Katja Lewina in ihrem Hörbuch Sie hat Bock, in dem sie kein Blatt vor den Mund nimmt und sich über alles von Masturbation bis Pornos auslässt.

Eine aufschlussreiche “Biologiestunde” ist der englische Bestseller Come as you are von Emily Nagoski: Wer über Lust und den Orgasmus etwas lernen und dabei mit vielen alten Vorurteilen aufräumen will, hört hier richtig.

Come As You Are: Revised and Updated

In Wer hat Angst vor Blut stellt Inga Weßling ihren Gästen am Ende immer wieder dieselbe Frage: “Wie würde die Welt aussehen, wenn es die Männer wären, die menstruieren?” Und wie die meisten ihrer Gäste ist auch Inga der Meinung, dass es dann einen viel selbstverständlicheren Umgang mit der Periode gäbe. Sie betont dabei den männlichen Humor. “Komik entstigmatisiert”, sagt sie. “Der Cis-Mann tendiert dazu, mit seinen Schwächen vor die Tür zu gehen und sie als Stärke zu verkaufen. Bei Männern wären wir einfach aufgrund ihrer Lautstärke und ihres offenen und humorvollen Umgangs viel weiter, und davon wäre ich ein großer Fan.”

Der Podcast “Wer hat Angst vor Blut” ist für Audible-Abonnenten inklusive und kann gratis gehört werden.