Von Einkommensunterschieden bis hin zur fehlenden Sichtbarkeit von Frauen in bestimmten Genres: Der Buchmarkt ist nicht gleichberechtigt. Und er war es früher noch viel weniger. Doch einige Verlegerinnen, Buchhändlerinnen und Journalistinnen wollten sich damit nicht abfinden und gründeten 1996 den Women’s Prize for Fiction. Das Preisformat sollte den Werken von Autorinnen den Raum geben, den sie verdienen. Heute zählt der Women’s Prize zu den renommiertesten belletristischen Literaturauszeichnungen weltweit.
Wen hat die Jury 2025 mit der begehrten „Bessie“-Statuette und 30.000 Pfund Preisgeld ausgezeichnet? Welche Titel haben es 2025 auf die Shortlist geschafft? Und welche Themen haben dominiert? Hier findest du es heraus und bekommst alle Details zur Auszeichnung.
Chancen für Frauen im Literaturbetrieb: Die Mission des Women’s Prize for Fiction
Systematische Ungleichheiten sichtbar machen, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit unter Schreibenden fördern und Frauen im Literaturbetrieb Chancen zu eröffnen – das sind die Ziele des Women’s Prize for Fiction. Angesichts dessen fördert und unterstützt der Women’s Prize Trust, der Verein, der den Preis ausrichtet, Literatur von Autorinnen in all ihren Formen. Nämlich, indem sie nicht nur herausragende Romane auszeichnet, sondern vor allem Initiativen gründet, die Frauen weltweit auf ihrem literarischen Weg begleiten und ihre Werke sichtbar machen.
Dafür standen dem Trust laut Angaben der Charity Commission for England and Wales im Geschäftsjahr 2024 Einnahmen in Höhe von rund 846.000 Pfund zur Verfügung. Diese flossen in gemeinnützige Arbeit in den Bereichen Leseförderung, Schreibworkshops, Stipendienprogramme und in die Bereitstellung kostenloser Ressourcen für aufstrebende Autorinnen.
Was den Women’s Prize einzigartig macht, ist vor allem ein stetig wachsendes internationales Lesenden-Netzwerk. Das lässt sich auch wirtschaftlich messen: Laut dem aktuellen Impact Report hat der Women’s Prize Trust in den vergangenen 30 Jahren mehr als 48 Millionen Bücher von ausgezeichneten und nominierten Autorinnen und Autoren verkauft und damit einen Umsatz von rund 344 Millionen Pfund erzielt. Für die Preisträgerinnen selbst bedeutet die Auszeichnung oft einen spürbaren Karriereschub: Im Monat nach der Bekanntgabe steigen die Verkaufszahlen des Gewinnerbuchs im Schnitt um 230 Prozent.
2025 mit dem Women’s Prize for Fiction prämiert: In ihrem Haus von Yael van der Wouden
Dieses Jahr ging der Women’s Prize for Fiction an In ihrem Haus, englischer Titel: „The Safekeep“, von Yael van der Wouden. Das im Nachkriegs-Niederlande der 1960er-Jahre spielende Debüt der niederländischen Autorin beleuchtet verdrängte Kapitel europäischer Geschichte, erzählt von queerem Begehren und stellt zugleich Fragen nach Schuld, Erinnerung und Identität.
Im Mittelpunkt steht Isabel, die sich nach dem Tod der Mutter in ein einsames, minutiös durchgeplantes und kontrolliertes Leben auf dem Land zurückgezogen hat. Alles ändert sich, als ihr Bruder Louis seine neue Freundin Eva bei ihr einquartiert. In der Hitze des Sommers wächst zwischen den beiden Frauen eine fragile, immer intensivere Beziehung. Doch die Vergangenheit wirft dunkle Schatten: Das Haus, in dem Isabel lebt, gehörte einst einer jüdischen Familie, die während des Holocaust deportiert wurde. Die moralische Last dieser Geschichte drängt sich zunehmend in den Vordergrund.
Die Jury lobte den Roman, der unter anderem auch für den Booker Prize 2024 nominiert war, als „seltene Meisterleistung: eine meisterhafte Verbindung aus Geschichte, Spannung und historischer Authentizität. Seite für Seite eröffnet sich ein Blick auf Aspekte von Krieg und Holocaust, die bislang kaum literarisch verarbeitet wurden. Zugleich ist In ihrem Haus eine Liebesgeschichte mit zart gezeichneten, intimen Szenen von fesselnder Sinnlichkeit.“
Für Jury-Vorsitzende Kit de Waal steht fest:
Dieses atemberaubende Debüt ist ein künftiger Klassiker, der noch Generationen bewegen wird.
Dass der Gewinnertitel so gut zur Mission des Women’s Prize passt, ist kein Zufall. Denn der Preis will auch die vielfältigen und einzigartigen Stimmen von Frauen mit unterschiedlichem Hintergrund fördern. Die lesbische Liebesbeziehung von Isabel und Eva in In ihrem Haus ist dafür exemplarisch.
Nichtsdestotrotz begleitet die Diskussion um Diversität den Women’s Prize seit Jahren. Besonders 2019 sorgte die Nominierung von Debüt „Süßwasser“ für Schlagzeilen – als erste:r nicht-binäre:r, trans* Autor:in stand Akwaeke Emezi auf der Longlist. Die Jury betonte damals, bei der Auswahl keine Kenntnis von Emezis Geschlechtsidentität gehabt zu haben. In der Folge überarbeitete der Women’s Prize seine Richtlinien. Heute heißt es in den Teilnahmebedingungen ausdrücklich, dass „woman“ sowohl cis Frauen, trans* Frauen als auch alle Personen umfasst, die laut Gesetz als weiblich definiert sind. Dennoch bleibt die Debatte über Inklusion und Ausschluss bestimmter Autor:innen Teil der fortlaufenden Auseinandersetzung um den Preis.
Women’s Prize for Fiction: Die Shortlist 2025
Wer den Preis gewinnt, entscheidet seit seiner Gründung eine aus fünf Frauen bestehende Jury aus Literatur-Expertinnen mit verschiedenen Hintergründen. So auch in diesem Jahr. Den Vorsitz hatte 2025 die britische Autorin Kit de Waal. An ihrer Seite: Romanautorin und Journalistin Diana Evans, die selbst 2006 den Orange Award for New Writers gewann; Journalistin und Mental-Health-Aktivistin Bryony Gordon; die ehemalige Glamour UK-Chefredakteurin Deborah Joseph sowie Komponistin und Musikerin Amelia Warner. Gemeinsam haben sie sich durch etwa 150 eingereichte Titel gelesen.
Der Auswahlprozess ist seit der Gründung des Preises gleich: Aus den eingereichten Büchern erarbeiten die Jurorinnen zunächst eine Longlist mit 16 Titeln, aus der schließlich die aus sechs Titeln bestehende Shortlist und am Ende die Gewinnerin hervorgehen.
2025 spiegelte die Shortlist dabei einmal mehr die ganze Bandbreite weiblichen Erzählens wider: Im Fokus standen Geschichten über den Wunsch nach Freiheit, Selbstbestimmung und menschlicher Verbundenheit. Ob es um Autonomie, Liebe oder Freundschaft geht – alle sechs Romane zeigen, wie Beziehungen helfen können, die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Viele der Titel erzählen dabei multigenerationale Geschichten und greifen auf unterschiedliche Weise historische Themen, Fragen nach Identität und familiärem Erbe auf.
Jury-Vorsitzende Kit de Waal sagte über die diesjährige Shortlist:
Jede dieser sechs Geschichten verkörpert die ursprünglichen Kriterien des Preises – Originalität, Zugänglichkeit und schiere Brillanz. Unsere Auswahl feiert reichhaltige, vielschichtige Erzählungen, die überraschen, berühren und begeistern. (…) Ich bin sicher: Diese sechs Romane werden zu den Klassikern der Zukunft gehören.
Die internationale Presse lobte Aria Abers Debüt Good Girl als „breathtaking“ (The Guardian), „exhilarating“ (The New York Times) und „eine bemerkenswerte Leistung“ (Publishers Weekly). Im Mittelpunkt: die 19-jährige Nila, Tochter afghanischer Geflüchteter, die in einer engen Sozialwohnung in Berlin-Gropiusstadt aufwächst. Der Alltag ist geprägt von Enge, Armut und dem ständigen Balanceakt zwischen Herkunft, Scham und dem Versuch, in einer westlichen Welt Fuß zu fassen, die sie immer wieder ausgrenzt.
Nila flüchtet sich in die vibrierende Berliner Clubszene. In dunklen Kellerclubs sucht sie nach Freiheit. Ihre Begegnung mit dem älteren amerikanischen Schriftsteller Marlowe Woods eröffnet ihr zwar den Zugang zur Kunstszene, doch bald kippt die Affäre in eine gefährliche Dynamik aus Machtmissbrauch und Abhängigkeit – und Nila verliert sich immer mehr in Drogen, toxischen Beziehungen und Gewalt.
Good Girl zeigt eine junge Frau im Strudel aus Identitätssuche, Selbstzerstörung und dem verzweifelten Wunsch nach künstlerischer Selbstverwirklichung. Ein schonungsloser und gleichzeitig poetischer Blick auf die verlorenen Intimitäten der Jugend und migrantische Identitäten.
Das Hörbuch ist bei Audible sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch verfügbar.
Eigentlich wollte sie nur von Los Angeles nach New York fahren – doch schon kurz nach der Abfahrt biegt sie von der Autobahn ab, checkt in ein unauffälliges Motel ein und beginnt dort eine ganz andere Reise: eine Reise zu sich selbst.
Anhand der Geschichte einer 45-jährigen Künstlerin, die ihr Leben radikal neu sortiert, erzählt Autorin, Regisseurin und Künstlerin Miranda July von weiblicher Sexualität, Identitätsfindung und der Frage, was Freiheit in der Lebensmitte bedeuten kann. Dabei wechselt der Ton immer wieder zwischen scharfem Witz und überraschender Tiefe. In All Fours geht es um Begierden, um Beziehungen, um das Aufbrechen gesellschaftlicher Erwartungen – und darum, wie befreiend es sein kann, eigene Regeln aufzustellen.
Neben der Shortlist des Women’s Prize for Fiction stand All Fours von Miranda July auch auf der Shortlist des National Book Award. Und auch Literaturkritiker Denis Scheck ist begeistert. So sagte er auf der Frankfurter Buchmesse 2024 über das Werk: „Eine augenöffnende Lektüre über das Begehren von Frauen in der Menopause.“
Das Hörbuch liest die Autorin selbst. Eine TV-Adaption des Romans ist in Planung.
Fünf Frauen, drei Generationen, eine Familie, irgendwo zwischen Revolution und Neubeginn: Die Revolution von 1979 reißt eine Familie im Iran auseinander. Während Matriarchin Elizabeth in Teheran zurückbleibt, bauen sich ihre beiden Töchter in den USA ein neues Leben auf. Shirin schillernd als Eventmanagerin in Houston und Seema in Los Angeles, gefangen im amerikanischen Vorstadttrott.
Auch die jüngste Generation ringt mit den Themen Herkunft und Identität: Jurastudentin Bita in New York sucht nach Sinn, während Niaz in Teheran aufwächst und gegen das islamische Regime rebelliert. Als ein chaotischer Familienurlaub eskaliert, brechen alte Konflikte auf – und jede der Frauen muss sich den Wahrheiten stellen, die sie sich lange selbst erzählt hat.
Sanam Mahloudji gelingt mit The Persians ein ebenso berührender wie witziger Debütroman über Migration, Brüche, familiäre Mythen und die Suche nach dem eigenen Platz im Leben.
Mit Tell Me Everything knüpft Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Strout an ihre bekannten Maine-Romane an, die sich um das Leben in der fiktiven Kleinstadt Crosby drehen. Figuren wie Lucy Barton, Olive Kitteridge und Bob Burgess, die bereits in früheren Büchern wie „My Name Is Lucy Barton“ oder „Olive Kitteridge“ im Mittelpunkt standen, begegnen sich hier erneut.
Diesmal im Fokus: Anwalt Bob, der versucht, seinen Mandanten – einen vereinsamten Mann, der seine Mutter ermordet haben soll – zu verteidigen. Bei langen Spaziergängen am Meer sprechen Bob und seine Freundin Lucy über ihre Leben, verpasste Chancen und die großen Fragen, die sich am Ende doch nie eindeutig beantworten lassen. Dabei treten unausgesprochene Wahrheiten und lange verschwiegene Lebensgeschichten langsam zutage.
Wie gewohnt braucht Strout keine großen Gesten: Es sind die kleinen, leisen Momente, die ihre Figuren lebendig machen. Tell Me Everything zeigt, wie viel Kraft in Gesprächen steckt, wie Liebe in unterschiedlichsten Formen existiert – und wie sehr unsere Beziehungen uns tragen, gerade dann, wenn das Leben seine dunkleren Seiten zeigt.
Nach einer gescheiterten Beziehung mit ihrer Freundin braucht Nadia, queere Akademikerin, einen Neuanfang. Kurzerhand nimmt sie ein UN-Jobangebot in Irak an. Dort soll sie ein Rehabilitationsprogramm für Frauen leiten, die sich dem IS angeschlossen hatten. Schon kurz nach ihrer Ankunft wird Nadia mit ihren eigenen Grenzen konfrontiert – und mit der Unvereinbarkeit ihrer eigenen Ideale mit der Realität.
Besonders die Begegnung mit Sara, einer wortgewandten Londonerin mit muslimischem Hintergrund, bringt Nadia an ihre emotionalen und moralischen Grenzen. Zwischen den beiden Frauen entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft, die jedoch auf eine harte Probe gestellt wird.
In Fundamentally verarbeitet Nussaibah Younis eigene Erfahrungen aus der internationalen Politik und schafft so ein ebenso unterhaltsames wie hochaktuelles Debüt über Radikalisierung, Religion, Familie und queere Identität. Klug und gleichzeitig komisch, schonungslos und gleichzeitig berührend.
Auf einen Blick: Für den Women’s Prize for Fiction nominierte Titel
Titel | Autorin |
Women’s Prize for Fiction: Ausgezeichnete Werke bei Audible
Der Women’s Prize for Fiction zeichnet die originellsten und bewegendsten Werke von Autorinnen aus. Doch nicht nur das. Er ermöglicht Karrieren, die andernfalls vielleicht nie begonnen hätten. Das ist wichtig. Denn trotz vieler Fortschritte ist der Literaturbetrieb nicht gleichberechtigt. Bei Audible entdeckst du belletristische Werke, die mit dem Women’s Prize for Fiction ausgezeichnet wurden oder für die Auszeichnung nominiert waren.
Falls du Audible noch nicht ausprobiert hast: Im Probemonat streamst du unbegrenzt tausende von Hörbüchern, Hörspielen und Original Podcasts. Zusätzlich erhältst du einen kostenlosen Titel, den du für immer behalten kannst.