Es war die Überraschung des Kinojahres 2019: Bong Joon-Hos Film „Parasite“ gewann als erste fremdsprachige Produktion überhaupt den Oscar für den besten Film. Kurz darauf schuf Filmregisseur Hwang Dong-hyuk mit „Squid Game“ die erfolgreichste Netflix-Serie aller Zeiten. Spätestens seitdem ist klar: „Hallyu“, die koreanische Welle, spült echte kulturelle Perlen an.

Auch in literarischer Hinsicht bietet das ostasiatische Land viel. Immer mehr koreanische Bücher werden ins Deutsche übersetzt und faszinieren eine wachsende Leserschaft. Gleich zwei südkoreanische Autoren – der Lyriker Ko Un und der Romanautor Hwang Sok-yong – gelten als heiße Kandidaten für den Literatur-Nobelpreis.

Koreanische Bücher: K wie Kreativität

Was macht koreanische Bücher so interessant? Die Bochumer Koreanistik-Professorin Dr. Marion Eggert sieht den Hauptgrund in der „gelungenen kulturellen Hybridisierung“: „Korea hat eine historisch tief verwurzelte Erfahrung damit, verschiedene kulturelle Elemente miteinander in Einklang zu bringen. Auch, wenn die dahinterstehenden Wertesysteme vielleicht widersprüchlich sind. Koreanischen Autoren gelingt es, verschiedene Codes parallel zu bedienen und diese miteinander zu vermischen.“

Diese Experimentierfreude spiegelt sich auch in der Themenauswahl und Stilvielfalt: Genrekonventionen sind eigentlich nur dazu da, lustvoll über den Haufen geworfen zu werden. Wie in den raffinierten Thrillern von Kim Un-su, der als „neuer Mankell“ gehypt wird. Ähnlich wie die Krimi-Ikone aus Schweden nutzt Kim Un-su den Krimi als Vehikel für seine Kritik an der spätkapitalistischen Moderne. Er zeichne eine Welt, in der „das Morden nur nach den Gesetzen des Markts funktioniert", befand der „Spiegel“. Dabei changiert der Autor erfolgreich zwischen hoher Literatur und Trivialliteratur, wie Marion Eggert feststellt.

Die Plotter

In Die Plotter geht es um einen Killer, der zum Gejagten wird. Als Kopf der Organisation „Library of Dogs“ hat der Protagonist Raeseng Jahrzehnte lang politisch motivierte Morde geplant. Doch die Macht der Diktatur schwindet und die Plotter verlieren ihren Einfluss. Eine neue Generation beginnt, ihr eigenes tödliches Netzwerk aufzuziehen – und Raeseng rückt selbst auf Platz eins der Todesliste vor.

Wie in „Squid Games“ und „Parasites“ fällt in vielen koreanischen Büchern eine ins Groteske kippende Schilderung von Gewalt auf. Dabei ist die koreanische Gesellschaft keineswegs besonders gewalttätig. Obwohl in Korea viele Menschen auf engem Raum leben, gilt das Land als ausgesprochen sicher. „Ich glaube, dass es eher ein intramediales Phänomen ist“, sagt Marion Eggert. „Sex und Gewalt sind Mittel der Aufmerksamkeitsgenerierung. Das ist eine Spirale, die sich höher dreht. Sex geht in Korea nicht so gut – bleibt die Gewalt.“

Andere Forscher sehen in den krassen Gewaltdarstellungen einen Nachhall der Militärdiktaturen zwischen den Sechziger- und Neunzigerjahren. „Ich will die These nicht vom Tisch wischen. Die Frage ist, warum kommt das so spät? Diese extremen Repressionen hat die Generation erlebt, die in den Achtzigern jung war. Das sind nicht die, die jetzt Bücher schreiben und Filme machen“, sagt Marion Eggert. Möglicherweise wirke die Erfahrung des Willkürstaates länger nach. „Unter Park Geun-hye, der vorletzten Präsidentin, fürchteten die Menschen einen Rückfall. Sie ist die Tochter des Diktators Park Chung-hee. Da wurden auf einmal wieder schwarze Listen von Künstlern und Schriftstellern geführt, die ihr nicht genehm waren und dann keine staatliche Förderung mehr kriegen sollten.“

K wie Klassenkampf und Kapitalismuskritik

Im Luxus schwelgende Reiche auf der einen, verzweifelte Habenichtse auf der anderen Seite: Die Kritik an der neoliberalen Hochleistungsgesellschaft, die wir aus „Parasites“ kennen, findet sich auch in vielen koreanischen Büchern. „Dabei geht es nicht nur um Einkommen, sondern auch um Status, was inzwischen weitgehend miteinander verknüpft ist. Wie anderswo auch wird es in Südkorea wieder deutlich schwieriger mit der sozialen Mobilität“, glaubt Marion Eggert. Hwang Sok-Yong schildert die soziale Ungleichheit in seinem neuen Roman „Vertraute Welt“ an einem Extrembeispiel: den Menschen, die auf der „Blumeninsel“ leben – einer gigantischen Müllkippe am Rande Seouls.

Kim Jiyoung, geboren 1982

Was die enormen gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte in den Köpfen und Seelen der Koreaner bewirkt haben, analysieren besonders koreanische Autorinnen mit großem Erfolg – über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Etwa in Cho Nam-joos weltweitem Bestseller Kim Jiyoung, geboren 1982. Darin erkrankt eine junge Mutter psychisch, nachdem sie ihren Marketing-Job aufgegeben hat, um sich ihrer kleinen Tochter zu widmen. „Die Bevorzugung des männlichen Geschlechts ist ein Thema, das wirklich auf den Nägeln brennt. Das wird seit Generationen bearbeitet, ist aber nicht gelöst“, beobachtet Marion Eggert.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen, die mit einer Hochindustrialisierung einhergehen, sind in Korea längst geschehen. Doch: „Die Traditionen sind noch wirksam“, so die Koreanistik-Professorin. „Es entsteht ein Verlorenheitsgefühl, weil sich das traditionelle Familienleben unter den modernen Bedingungen – dem Selbstverständnis von Individualität und freier Selbstentfaltung – nicht mehr aufrechterhalten lässt. Es gibt noch zu wenig andere Strukturen, die diesen Verlust auffangen. Dadurch entstehen Vereinzelung und Verunsicherung darüber, wie ein Leben nun zu gestalten ist.“ Den Grund für diese psychische Überlastung sieht Marion Eggert im hohen Tempo, mit dem sich Südkorea vom Agrarland zum modernen Industriestaat gewandelt hat.

Die Vegetarierin

Besonders krass stellt Schriftstellerin Han Kang die Folgen dieser kollektiven psychischen Überforderung in ihrem mit dem Man Booker Preis ausgezeichneten Roman Die Vegetarierin dar. Darin hat der Erzähler „eine ganz normale Ehefrau bekommen, ohne lästige Extravaganzen“. Ihre Ehe verläuft so eintönig, wie es sich der Mann erhofft hatte. Bis die angepasste Yeong-Hye beginnt, sich vegetarisch zu ernähren. Schon das gilt in Südkorea als rebellischer Akt. Nach und nach verweigert Yeong-Hye sämtliche weibliche Pflichten und sehnt sich danach, sich in eine Pflanze zu verwandeln. Damit bringt sie ihre Familie gegen sich auf und setzt eine groteske Kettenreaktion in Gang. „Hier hat man eine totale Internalisierung der gesellschaftlichen Problematik, die literarisch-metaphorisch ausgedrückt wird durch das Pflanze werden“, analysiert Marion Eggert.

Deine kalten Hände

In ihrem neuen Roman Deine kalten Hände kreist Han Kang um Themen wie Schönheit, Schuld und Schmerz: Der exzentrische Bildhauer Jang Unhyong ist fasziniert von dicken Frauen. Mit Gipsabdrücken ihrer Hände und anderer Körperteile versucht er, ihr verstecktes Innenleben einzufangen. Eines Tages verschwindet er einfach. Zurück bleibt ein bewegendes Tagebuch, das seine Suche nach Nähe und Wahrhaftigkeit in einer Welt voller Masken schildert.

Verstädterung und krasse Klassenunterschiede, Raubtierkapitalismus und Entfremdung – an Koreas Beispiel lassen sich weltweite Entwicklungen wie unter einem Brennglas betrachten. „Ostasien zeigt uns in mancher Hinsicht unsere Zukunft – oder zumindest eine mögliche Zukunft“, glaubt Marion Eggert. So beunruhigend diese Aussicht sein mag: Zumindest ist der stetige Nachschub an faszinierenden Filmen, Serien und Büchern aus Korea gesichert. „Dass die Hälfte der südkoreanischen Bevölkerung auf einem Fleck – Seoul – wohnt, sorgt für eine starke räumlich-soziale Verdichtung. Das ist wie ein brodelnder Topf. Und daraus entsteht viel Kreativität.“

Weitere herausragende Bücher aus Südkorea

Heisses Blut

Bestechung, Schmuggelei, Auftragsmord: Der Gangster Huisu erledigt für seinen Boss Old Son klaglos die Drecksarbeit. Doch Old Son, Kopf der Unterwelt der Hafenstadt Busan, dankt Huisu seine Loyalität nicht. Darum muss Huisu nicht lange überlegen, als er ein verlockendes Angebot von einem konkurrierenden Verbrecher bekommt. Er sagt sich von Old Son los und zieht mit dem cholerischen Yangdong ein Kasino auf. Bald bedrohen konkurrierende Kasinobetreiber Huisu und Yangdong. Und dann tritt noch eine fremde Gang auf den Plan…

Nach seinem internationalen Bestseller „Die Plotter“ legt Kim Un-Su mit Heißes Blut einen weiteren raffinierten Krimi noir vor, in dem ein sensibler Gangster mit der kaputten Welt hadert. Dabei trifft Kim Un-Sus spezieller Sinn für Humor auf derbe Gewalt- und fesselnde Milieuschilderungen.

Aufzeichnungen eines Serienmörders

Byongsu Kim hat das Morden vor Jahren aufgegeben. Mit seinen 70 Jahren liest er lieber Klassiker und schreibt Gedichte. Als sein Arzt Alzheimer diagnostiziert, wird dem pensionierten Serienmörder klar, dass ihm noch eine letzte Sache zu tun bleibt: Um das Leben seiner Adoptivtochter zu schützen, muss er einen anderen Mörder töten, der seit einiger Zeit in seinem Revier junge Frauen umbringt. Die Zeit läuft Byongsu Kim gnadenlos davon.

Kim Young-ha, der sich selbst nie als klassischen Krimiautor bezeichnen würde, erhielt 2020 für Aufzeichnungen eines Serienmörders den Deutschen Krimipreis. In seinem eigenen Land räumte er sämtliche bedeutende Literaturpreise ab. Seine Romane, Erzählungen und Essays wurden in alle Weltsprachen übersetzt – umgekehrt übersetzte Kim Young-ha, der zeitweise in Kanada, den USA und Italien lebte, unter anderem F. Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby“ ins Koreanische.

Concerning My Daughter

Green und ihre Mutter essen einmal die Woche gemeinsam zu Mittag. Zwischen ihren Nudelschalen türmt sich ein Berg unausgesprochener Worte. Denn Green hat einen völlig anderen Weg gewählt als ihre Mutter: Sie hat kaum eigenes Einkommen und liebt eine Frau. Als das lesbische Paar bei der Mutter einziehen muss, prallen die Ängste und traditionellen Vorstellungen der einen Generation auf den Wunsch nach Selbstbestimmtheit der anderen.

Koreanische Bücher, die von der Vergangenheit erzählen

Wie sehr sich das Korea des 19. Jahrhunderts vom heutigen Korea unterschied, lässt sich ansatzweise verstehen, wenn man Hwang Sok-yongs Roman „Die Lotosblüte“ liest. Darin entführt der als Nobelpreiskandidat gehandelte Autor seine Leser in die Welt des Opiumhandels und der Prostitution. Die 15-jährige Shim Chong, genannt „Lotusblüte“ wird nach dem Tod ihres Mannes auf eine schmerzvolle Odyssee geschickt: Zur Handelsware degradiert gelangt sie von den Ufern des Gelben Flusses über Shanghai, Taiwan und Singapur bis nach Japan. Erst nach und nach erkennt sie, wie sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen kann.

Ein einfaches Leben

Min Jin Lees Roman Ein einfaches Leben beginnt mit einer ähnlichen Reise: Die Fischerstochter Sunja nimmt in einer Notlage das Heiratsangebot eines kränklichen Pfarrers an, der auf dem Weg nach Japan ist. Eine Entscheidung, die weitreichende Folgen haben wird.

Die amerikanisch-koreanische Autorin schildert in ihrem Familienepos das Schicksal der Zainichi, einer koreanischen Minderheit in Japan, die nicht über dieselben Rechte verfügt wie die Japaner. Deren Identitätssuche sowie ihr Streben nach Glück und Wohlstand am Rande der Gesellschaft ist Thema dieses farbenprächtigen Romans, der sich über 100 Jahre erzählte Geschichte erstreckt.

Bücher aus Nordkorea

Nordkorea ist von der Außenwelt völlig abgeschottet. Übersetzte Literatur aus dem isolierten Land gibt es schlicht nicht. Selten gelingt es, einen kleinen Einblick in den totalitär regierten Staat zu erhaschen. Das macht Yeonmi Parks autobiographischen Bericht „Mut zur Freiheit. Meine Flucht aus Nordkorea“ so besonders. Darin erzählt die junge Menschenrechtsaktivistin von ihrem Kampf ums Überleben in einem der repressivsten Regimes der Welt.

Mut zur Freiheit

Nachdem ihr Vater wegen Schmuggels ins Arbeitslager gebracht wurde, muss die Familie von Yeonmi Park hungern. Sie entschließen sich zu Flucht – da ist Yeonmi 13 Jahre alt. Es folgt eine alptraumhafte Odyssee durch die chinesische Unterwelt: Das Mädchen und seine Mutter werden verkauft, gedemütigt und missbraucht. Bis ihnen endlich die Flucht nach Südkorea gelingt, wo sie in Freiheit und Sicherheit leben können. Ein schockierender Bericht einer mutigen jungen Frau, die durch die Hölle ging.

Die Welle reiten – mit koreanischen Büchern

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