So ein Geburtstagsgeschenk bekommen nicht viele. Die Schweizer Schriftstellerin Dorothee Elmiger wurde am 13. Oktober, dem Tag ihres 40. Geburtstags, für ihren Roman Die Holländerinnen mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Elmiger nahm die Urkunde für den mit 25.000 Euro dotierten Preis bei einer feierlichen Verleihungs-Gala im Frankfurter Haus zum Römer persönlich entgegen.
In einer kurzen Dankesrede würdigte die Autorin ihren Lektor, ihren Verlag sowie die Korrektorin des Buches. Elmiger beendete ihre Rede mit zwei Zitaten, die sowohl ihren literarischen Referenzrahmen als auch ihren persönlichen Anspruch ans Erzählen verdeutlichen. Das erste Zitat stammte von der Dichterin Marie Luise Kaschnitz (1901 - 1974) und lautete: „Der Dichter ist das Sprachrohr der Ratlosigkeit seiner Zeit." Das zweite Zitat geht auf die Rockband Tocotronic zurück und lautete: „Das Unglück muss zurückgeschlagen werden."
Beide Sätze lassen sich gut auf den Roman des Jahres übertragen. Erzählt er doch von der Ratlosigkeit einer namenlosen Schriftstellerin, die im Angesicht der vielen grausamen Theorien über die ungeklärte Todesursache der beiden titelgebenden Holländerinnen das Zutrauen in das eigene Erzählen verloren hat. Dorothee Elmiger hingegen nimmt die Krise ihrer Hauptfigur zum Anlass, um mit einem sprachlichen und narrativen Feuerwerk „zurückzuschlagen“. Dabei wird das Philosophieren über das Unsagbare zum Plädoyer für das Erzählen als solches.
Deutscher Buchpreis 2025: Das sagt die Jury über den Roman des Jahres
Die gedruckte Ausgabe von Die Holländerinnen ist im August erschienen, das Hörbuch kam am 30. Oktober heraus. Es wird von Heike Warmuth gelesen, die unter anderem für ihre kongeniale Interpretation der „Enna Andersen“-Krimis von Anna Johannsen bekannt ist.
Dieser Roman ist ein Ereignis.
Mit diesem wuchtigen Satz beginnt die Jury-Begründung für die Auszeichnung. Weiter geht sie mit einer Zusammenfassung des Romans: „Eine Schriftstellerin berichtet von ihrer Reise in den südamerikanischen Urwald mit einer Theatergruppe auf den Spuren zweier Holländerinnen, die vor Jahren dort verschwunden sind. Auf dieser Wanderung erzählt sich die Gruppe verstörende Geschichten. Je tiefer sie sich im Dickicht und Morast verläuft, desto mehr reißt Elmiger die Leser*innen in einen Sog der Angst.“ Das Jury-Urteil endet mit dem Fazit:
Elmigers Stil ist gleichzeitig distanziert und doch fesselnd. „Die Holländerinnen“ – ein faszinierender Trip ins Herz der Finsternis.
Gut zu wissen: Der besagte ungeklärte Todesfall, auf den sich Die Holländerinnen beruft, ist ein reales True-Crime-Mysterium, dem das Duo Christian Hardinghaus und Annette Nenner in der Hörbuchserie „Verschollen im Pazifik“ nachgespürt hat.
Die wahre Geschichte hinter „Die Holländerinnen“: Verschollen im Pazifik
Deutscher Buchpreis 2025: Wer ist die Preisträgerin Dorothee Elmiger?
Dorothee Elmiger wurde am 13. Oktober 1985 im schweizerischen Wetzikon nahe Zürich geboren. Neben ihren Literaturstudien in Biel und Leipzig studierte sie außerdem Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaften. Die Holländerinnen ist ihr vierter Roman nach dem Debüt „An die Waghalsigen “ von 2010, „Schlafgänger“ von 2014 und „Aus der Zuckerfabrik“ von 2020. Letzterer war im Jahr des Erscheinens auch schon für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Roman des Jahres 2024: Erfahre, wer den Deutschen Buchpreis im letzten Jahr gewonnen hat
Deutscher Buchpreis 2025: Das war die Shortlist
Von den fünf weiteren Shortlist-Nominierungen sind drei als Hörbuch erschienen: Kaleb Erdmanns autofiktionale Erforschung eines Amoklaufs in Die Ausweichschule, Thomas Melles gesellschaftskritische Auseinandersetzung mit dem Thema selbstbestimmtes Sterben in Haus zur Sonne und Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft, Fiona Sironics zeitgeistige Abrechnung mit den Krisen der Gegenwart.
„Die Ausweichschule“ von Kaleb Erdmann
In Die Ausweichschule beschließt der Ich-Erzähler die traumatischen Erfahrungen des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium im April 2002 aufzuarbeiten. Er hat das Geschehen als damals Elfjähriger selbst miterlebt. Nun, 20 Jahre später, will er es zu einem Romanprojekt verarbeiten. Aber kann er mit seiner obsessiven Recherche den Toten und Betroffenen gerecht werden? Und kann er seinen eigenen Erinnerungen nach all der Zeit noch trauen?
Die Buchpreis-Jury sagt:
Bei Erdmann verändert ein Amoklauf die Psychologie einer ganzen Stadt.
Autor Kaleb Erdmann hat den Amoklauf von Erfurt als Kind miterlebt, sich danach aber lange nicht damit beschäftigt. Er selbst charakterisiert Die Ausweichschule als „Meta-Roman“. Der Ich-Erzähler ist sowohl sein Alter Ego als auch eine autonome Figur, deren Erfahrungen und Erinnerungen sich nicht zwangsläufig mit Erdmanns autobiografischen Erfahrungen decken.
„ë“ von Jehona Kicaj
In ë erzählt Jehona Kicaj von den Wirren des Kosovokriegs Ende der 1990er-Jahre und arbeitet damit ihre familiäre Herkunft auf. Der Roman erinnert an das Leid von Familien, die ihre Heimat verloren haben, deren ermordete Angehörige anonym verscharrt wurden und bis heute verschollen oder nicht identifiziert sind. Die Buchpreis-Jury sagt:
Ein außergewöhnlicher Roman, der von einem knirschenden Kiefer und dem kleinen, wie identitätsstiftenden Buchstaben „ë“ im Albanischen ausgehend eine vielschichtige Welt öffnet und erfahrbar macht.
ë ist ein literarisches Mahnmal für eine Vergangenheit, die nicht vergehen kann, weil sie buchstäblich in jeder Faser des Körpers der Nachkommen steckt.
„Haus zur Sonne“ von Thomas Melle
Das titelgebende Haus zur Sonne ist ein Ort, an dem lebensmüde Menschen sich einen letzten Wunsch erfüllen können, bevor sie unter klinischer Aufsicht in den Tod geschickt werden. Dem überspitzten Szenario legt Autor Thomas Melle eine existenzielle Frage zugrunde: Wollen Leute, die nicht mehr leben wollen, wirklich sterben?
Die Buchpreis-Jury sagt:
Melle fragt in einem manisch-literarischen Ritt, wie selbstbestimmt der moderne Mensch ist.
In seinem preisgekrönten Protokoll-Roman Die Welt im Rücken verarbeitet Thomas Melle sein Leben mit einer bipolaren Störung. Auch Haus zur Sonne basiert auf den Erfahrungen mit seiner Erkrankung und deren psychologischer (Nicht-)Betreuung. Ein radikales Buch, das schonungslos Fragen über Todessehnsüchte anspricht, die sich viele Menschen stellen, aber nicht offen zu stellen wagen.
„Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald...“ von Fiona Sironic
Wie der Bandwurm-Titel schon vermuten lässt, kommt das Debüt von Fiona Sironic halb anarchisch, halb dystopisch daher.
Die Buchpreis-Jury sagt:
Sironic nimmt sich der fortgeschrittenen Klimakrise mit Karacho und Liebe an.
Die 15-jährige Era lebt mit ihrer Mutter am Waldrand und versucht dem schleichenden Prozess der Zerstörung etwas entgegenzusetzen, indem sie das Aussterben der Vögel dokumentiert. In einem Stream beobachtet sie ihre Mitschülerin Maja und deren Schwester Merle, die auf der benachbarten Lichtung Festplatten in die Luft jagen. Während Era Notizbücher führt, Zeichnungen anfertigt und gesammeltes Wissen zu ordnen versucht, bildet Maja eine zerstörerische Gegenkraft. Dennoch verlieben sich die beiden ineinander.
„Wachs“ von Christine Wunnicke
In Wachs erzählt Christine Wunnicke die Liebesgeschichte zweier Frauen vor dem Hintergrund der Französischen Revolution im 18. Jahrhundert: Marie Biheron, die schon jung Leichen seziert, um ihr Innenleben aus Wachs zu modellieren, und Madeleine Basseporte, die zeichnend die Anatomie von Blumen aufs Papier zaubert.
Die Buchpreis-Jury sagt:
Bei Wunnicke folgen wir im vorrevolutionären Frankreich zwei Frauen, die sich aus Konventionen so gar nichts machen.
Zwischen den beiden Damen entwickelt sich eine herrlich verschrobene Romanze. Männer kommen im Roman auch vor. Allerdings nur in hübschen Nebenrollen.
Deutscher Buchpreis 2025: Das war die Longlist
Von den 20 Nominierungen der Buchpreis-Longlist des Jahres 2025 sind neben den bereits aufgeführten Shortlist-Titeln sechs weitere als Hörbuch erschienen. Hier erfährst du mehr über die als Hörbuch erschienenen nominierten Romane.
„Schwebende Lasten“ von Annett Gröschner
In Schwebende Lasten erzählt Klopstock-Preisträgerin Annett Gröschner eine Geschichte „über das Ende des Industriezeitalters und seiner Heldinnen im Osten Deutschlands – und über eine gewöhnliche Frau in diesem unfassbaren 20. Jahrhundert“. Diese Frau hört auf den Namen Hanna Krause, hat von der Weimarer Republik bis zum Zweiten Weltkrieg und von der DDR bis zur Deutschen Wiedervereinigung alle Drehungen und Wendungen des letzten Jahrhunderts miterlebt und bei alledem vor allem eines versucht: anständig zu bleiben.
Nachdem Annett Gröschner mit „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ gemeinsam mit Peggy Mädler und Wenke Seemann einen Bestseller gelandet hat, widmet sie sich in Schwebende Lasten erneut einer ostdeutschen Frauenbiografie. Dabei schöpfte die Autorin teilweise Inspiration aus der eigenen Familiengeschichte.
„Russische Spezialitäten“ von Dimitrij Kapitelman
Der ukrainisch-stämmige Autor Dimitrij Kapitelman erzählt in Russische Spezialitäten über ein inniges Mutter-Sohn-Verhältnis, das nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2023 in Schieflage gerät. Während der Ich-Erzähler seiner Herzensstadt Kiew die Stange hält, ist Mama für Putin. Um seine Mutter vor dem Faschismus und den russischen Fernsehlügen zu bewahren, sieht der Sohn keinen anderen Weg, als mitten im Krieg in die Ukraine zu reisen.
Politikwissenschaftler, Soziologe und Journalist Dmitrij Kapitelman verarbeitet in dem Roman lebensnah und humorvoll eigene Gedanken über seine Herkunft, den Ukrainekrieg und die Entwicklungen in Russland. Der Autor wurde 1986 in Kiew geboren und kam im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Nach Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters und Eine Formalie in Kiew ist Russische Spezialitäten sein dritter Roman.
„Im Herzen der Katze“ von Jina Khayyer
Mit Im Herzen der Katze legt Journalistin, Dichterin und Schriftstellerin Jina Khayyer eine eindrückliche Auseinandersetzung mit Frauenschicksalen im Iran und den starken Banden ihrer Herkunft vor. Die Ich-Erzählerin, die nicht zufällig ihren eigenen Namen trägt, durchlebt Gewalt, Unterdrückung und Gefahren im Iran der Gegenwart, erinnert sich aber auch an vergangene Liebschaften, Aufbrüche und Freiheiten in dem Land, das sie als Heimat empfindet.
Jina Khayyer wurde in Deutschland geboren, ist aber iranischer Abstammung. Nachdem sie als Künstlerin, Journalistin und Lyrikerin gearbeitet hat, ist Im Herzen der Katze ihr erster Roman.
„Die Verdorbenen“ von Michael Köhlmeier
Als „meisterhafte Erkundung des Bösen“ wird Michael Köhlmeiers neuer Roman Die Verdorbenen angekündigt. Und tatsächlich zeichnet der österreichische Schriftsteller hier nach seinen Bestsellern „Zwei Herren am Strand“ und „Das Philosophenschiff“ das perfide Porträt eines Ich-Erzählers, der insgeheim schon als Sechsjähriger auf die Frage, was er im Leben unbedingt einmal tun will, antwortet: „Einmal im Leben will ich einen Mann töten.“
Kritik und Lesende sind sich uneinig, ob Die Verdorbenen nun als Kommentar auf die übersättigte westliche Nachkriegsgeneration oder als satirisch-abgründige Selbstbetrachtung des Autors zu werten ist. In jedem Fall macht Köhlmeier in dem Roman auf beunruhigend alltägliche Weise nachvollziehbar, wie Langeweile in Gewaltfantasien und deren Umsetzung mündet.
„Verzauberte Vorbestimmung“ von Jonas Lüscher
Verzauberte Vorbestimmung ist der erste Roman, den der schweizerisch-deutsche Schriftsteller Jonas Lüscher veröffentlichte, nachdem er 2020 infolge einer Covid-Erkrankung sieben Wochen lang im Koma lag. Diese Erfahrung spiegelt die Geschichte, indem auch der Protagonist die Welt nach einem mehrwöchigen Koma neu entdeckt – als einen Ort, in dem das Schicksal der Menschheit von technischen Maschinen abhängig ist.
Durch das Thema der Hoheit der Maschinen, aber auch, weil es eine Handlungsebene in einem futuristischen Ägypten gibt, weht ein Hauch von Science-Fiction durch Verzauberte Vorbestimmung. Aber Lüschers Roman reist auch weit in die Vergangenheit. Er reflektiert den Ersten Weltkrieg und den Holocaust, macht den deutsch-schwedischen Avantgarde-Literaten Peter Weiss zu einer Art Nebenfigur und zeichnet nicht zuletzt ein philosophisches Panorama jener Kultur, auf der die Robotik der Zukunft aufbauen wird.
„Single Mom Supper Club“ von Jacinta Nandi
Die befreundeten Mütter Kayla, Tamara, Antje und Lina kritisieren einander scharfzüngig, unterstützen einander aber gleichzeitig bedingungslos. Als ihr monatlicher Supper Club von der derben Momfluencerinnen-Clique „Cocaine-Moms“ infiltriert wird, droht der Clash der Generationen. Ein heilloses Chaos bricht aus – verdrogte Kindergeburtstage, Herzrasen beim Elternabend und Zeitgeist-Implosionen inklusive.
Wahl-Berlinerin Jacinta Nandi erzählt in Single Mom Supper Club mit jeder Menge Humor, wie es sich anfühlt, als Britin unter Deutschen zu leben. Sarkastisch und treffsicher nimmt sie bürokratische Hürden für Alleinerziehende, Generationenfragen sowie Klassen- und Herkunftskonflikte aufs Korn. Vor allem aber überzeugt der Roman mit liebevoller Figurenzeichnung und lebensnaher Sprache.
Deutscher Buchpreis 2025: Alle Longlist-Nominierungen im Überblick
Hier bekommst du einen Überblick über alle Romane, die 2025 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises standen.
Autorin / Autor | Titel | Erscheinungstermin |
Kathrin Bach | 24. Februar 2025 | |
Marko Dinić | 19. August 2025 | |
Nava Ebrahimi | 10. September 2025 | |
Dorothee Elmiger | 19. August 2025 | |
31. Juli 2025 | ||
20. März 2025 | ||
03. März 2025 | ||
21. Juli 2025 | ||
Jehona Kicaj | 23. Juli 2025 | |
27. Januar 2025 | ||
06. März 2025 | ||
14. August 2025 | ||
17. Juni 2025 | ||
Gesa Olkusz | 3. März 2025 | |
Lena Schätte | 12. März 2025 | |
Lina Schwenk | 21. August 2025 | |
Fiona Sironic | Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft | 25. März 2025 |
10. September 2025 | ||
27. März 2025 | ||
13. Februar 2025 |
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