• Episode 33: In memoriam Wolfgang
    Apr 20 2025

    Dieser Epilog in Gedichtform ist dem Schriftsteller Wolfgang Borchert gewidmet und hat genau dadurch eine programmatische Funktion für „Das Kainszeichen“. Auf Borchert bezieht sich der Autor als literarischen Wahlverwandten, als „großen Bruder“. Der aus Hamburg stammende Wolfgang Borchert (1921-1947) starb 1947, also in dem Jahr, in dem der Autor in Hamburg geboren wurde. Der Grund für Borcherts frühen Tod waren seine Kriegsverletzungen, Thema seines Werkes sind vor allem die Zerstörungen, die der Krieg als umfassende Gewalterfahrung auch in den Menschen anrichtet. In „Das Kainszeichen“ erscheint die Gesellschaft als ähnlich umfassende Gewaltstruktur, etwa in Episode 24. Der Stiefvater in „Das Kainszeichen“ ist jener von Krieg und Gewalt geprägten Generation zuzurechnen. Die Erfahrungen mit Vergewaltigung und Prostitution beschreibt das Gedicht als den „Krieg der Straße“. Wie Borchert den Zweiten Weltkrieg überlebte (oder eben gerade nicht, weil er an dessen Folgen starb), so ist der Erzähler von „Das Kainszeichen“ ein Überlebender der strukturelle Gewalt unserer Gesellschaft in einem extremen Fall, wie es auch der Arzt in der vorhergehenden Episode 32 formuliert hat. Als literarisches Vorbild hat es Borchert auch dem Autor von „Das Kainszeichen“ ermöglicht, über seine Gewalterfahrungen zu sprechen. Die Tabuisierung der vielfach in der Gesellschaft vorhandenen Gewaltstrukturen aufzubrechen, den Opfern zuzuhören, erscheint als Voraussetzung, um diesen Strukturen entgegenzuwirken.

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    2 Min.
  • Episode 32: Pierre saß dem Arzt gegenüber
    Apr 20 2025

    Diese Episode bildet zusammen mit Episode 1 die Klammer um den gesamten Text. Pierre sitzt in der Einrichtung mit den 30 Betten dem Arzt gegenüber und beendet seinen Lebensbericht, der dem Arzt die Tränen in die Augen getrieben hat. Der Arzt weist darauf hin, dass Pierre durch eine Überdosis Drogen oder Suizid schon längst tot sein könnte, Pierre also ein Überlebender ist.

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    1 Min.
  • Episode 31: (Wieder wacht er auf)
    Apr 20 2025

    Hier auf der Meta-Ebene befindet sich Pierre nach dem Aufwachen in dem Dorf aus Episode 3. Die Häuser lösen sich in wurm- und schlangenartige Formen auf, die ihn in die Mitte des Dorfes treiben, wo das Kreuz mit den Namen aller Heiligen steht. Dort auf dem Dorfplatz ist eine Grube voller Schlangen wie Penisse. Neben der Schlangengrube steht seine Mutter, die auch einen endlos langen Schlangenpenis hat, der auf Pierre zukriecht, ihm um den Hals fasst und ihn würgt. Bevor er das Bewusstsein verliert, merkt Pierre, wie er in die Schlangenpenisgrube fällt. In Episode 10 hatte bereits das Kind auf seiner Zeichnung den Penis des Vergewaltigers und den Prügelriemen des Stiefvaters in ein schlangenartiges Bild gebracht.

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    2 Min.
  • Episode 30: (Die Hand aus der Wolke)
    Apr 20 2025

    Auf der Meta-Ebene liegt Pierre in einem weiteren Alptraum auf einer Wiese. Plötzlich verdunkelt sich der Himmel zu einem Unwetter. Pierre weiß, dass dies das Jüngste Gericht ist. Er will Schutz suchen, doch da greift aus den Wolken ein riesiger Arm nach ihm und er hört die Stimme seiner Mutter. Der Arm greift in seinen Kopf und holt die Bilder heraus. Die überwachende Mutter kennt nun seine tabuisierten „schmutzigen“ Erfahrungen, die er versucht hat, geheim zu halten, das Verschweigen-Müssen hat nicht funktioniert, so total ist die Kontrolle durch die Mutter. „Pierre krümmt sich wie ein Fötus am Boden: Er wird nie frei sein. Sie wird ihn nie, nie freilassen.“ Und wieder weckt Rübezahl Pierre auf: „Du kannst hier nicht mehr bleiben. Du darfst hier nicht mehr bleiben“, was als Hinweis darauf gelesen werden kann, dass er ihn aus einem geschützten therapeutischen Setting zurück 'ins Leben' schicken will.

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    2 Min.
  • Episode 29: (Alle Atome seines Körpers)
    Apr 20 2025

    Auf der Meta-Ebene durchlebt Pierre eine Episode, die sich erst am Ende – wenn Rübezahl ihn erneut aufweckt und zum Fortgehen auffordert – als Alptraum herausstellt. Pierre (nach seiner Flucht) schläft in seinem Zimmer, als es an der Tür klingelt. Zwei Männer stehen draußen, die ihm vage bekannt vorkommen. (Man kann davon ausgehen, dass sie den Vergewaltiger aus der Kindheit und den Stiefvater repräsentieren.) Sie zwingen ihn, eine Droge zu nehmen, und vergewaltigen ihn. Währenddessen erlebt Pierre die extremste Form der Dissoziation vom eigenen Körper. Er hat das Gefühl, dass sein Körper in kleinste Einzelteile zerfällt, die sich im Weltall verteilen. Bevor Rübezahl ihn weckt, sagt einer der beiden Täter zu ihm, dass er ihnen nie entkommen wird.

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    3 Min.
  • Episode 28: (Es ist Krieg)
    Apr 20 2025

    Pierre erwacht im Wald. Es muss die Stelle sein, wo er sich am Abend in den Dornen verfangen hatte. Alle Geschehnisse, die bisher auf der Meta-Ebene passiert sind, könnten also Alpträume gewesen sein. Doch jetzt stellt er fest: Es ist Krieg. Kampfflugzeuge greifen an und Soldaten verfolgen ihn in einen Keller. Pierre macht sich so klein wie eine Laus und versteckt sich in einer Mauerritze, sodass die Soldaten ihn nicht erschießen können. Und wieder schüttelt ihn jemand an der Schulter und die Stimme von Rübezahl sagt: „Wach auf, du musst fort von hier!“

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    2 Min.
  • Episode 27: (Ich bin doch deine Mutter)
    Apr 20 2025

    Auf der Meta-Ebene befindet sich Pierre auf dem Dachboden von dem Haus, in das Rübezahl ihn gebracht hat. Er wacht auf und sieht neben sich eine alte Frau. Er kennt sie nicht, sie aber behauptet, sie sei seine Mutter. Voller Ekel flüchtet er aus dem Haus, doch die Häuser lösen sich auf und kreisen ihn ein, fesseln ihn. Er hat Angst, für immer in diesem Alptraum gefangen zu sein. Da schüttelt ihn jemand an der Schulter und die Stimme von Rübezahl sagt: „Wach auf, du musst fort von hier!“

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    2 Min.
  • Episode 26: Wie immer auf der Straße
    Apr 20 2025

    Der Ich-Erzähler setzt hier die Gewalt in der elterlichen Wohnung in Bezug zu seinen Erfahrungen mit Drogen und Prostitution. „Jeder Platz auf der Straße ist sicherer als zu Hause. … Mich erwartet kein Zuhause, mich erwartet nur eine Behausung.“ Er habe „die Fähigkeit, ein Zuhause zu haben“, verloren. Suizidale Tendenz und Todessehnsucht sprechen sich in dem Satz aus: „Der einzige Ort, wo das Leben noch erträglich zu sein scheint, ist die Hölle selbst.“ Diese Hölle findet der Ich-Erzähler in den Darkrooms von Schwulenbars, „denn dort, im Gemenge anonymer Körper, konnte ich alles wiederholen, was das Leben mich gelehrt hatte“. Die Frage von Hetero-, Bi- oder Homosexualität spielet dabei keine Rolle, der Ich-Erzähler sieht hier einen krankhaften Wiederholungszwang am Werk - „so krank, wie nur einer sein kann, für den Liebe nur Schmerz – Weltuntergang – und Sexualität Rausch und Strafe zugleich ist.“ Ekel und Scham sind stets gegenwärtig, vor allem wiederholt sich beim Hinausgehen aus den Bars wieder das von der Vergewaltigung im Keller (vgl. Episode 5) her bekannte Gefühl, das Kainszeichen als für alle sichtbares Stigma zu tragen.

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    5 Min.