Der Juni gilt als Pride Month. Dann werden auf den Straßen Regenbogenflaggen gehisst. Die Medien berichten verstärkt über Themen wie Homophobie. Und auch in sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok empfehlen Blogger*innen verstärkt LGBTQIA+-Literatur. Im Juni finden auch weltweit Pride Parades statt – hierzulande besser bekannt als Christopher Street Days (CSD). Auf Pride Parades demonstrieren LGBTQIA+-Personen und Verbündete beziehungsweise Allys für ihre Rechte.

Aber warum eigentlich? Was genau wird beim Pride gefeiert? Und braucht man den Pride Month heutzutage überhaupt noch? Hier bekommst du Antworten auf diese Fragen und liest die zusammengefasste Version der Geschichte hinter „Pride“. Wir konzentrieren uns auf einige wichtige Fakten und den angloamerikanischen Raum – das ganze Thema ist natürlich deutlich komplexer und vielschichtiger. Wenn du dich für Deutschlands queere Geschichte interessierst, legen wir dir Queer von Benno Gammerl ans Herz.

Queer

In diesem Sachbuch gibt der Historiker und Autor einen Überblick über die queere Geschichte Deutschlands von 1871 bis heute. Unter anderem zeigt Grammerl, wie schon die Homosexuellenbewegungen im Kaiserreich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung gekämpft haben.

Eine Anmerkung: Unter dem Begriff „queer“ verstehen wir in diesem Text alle Menschen, die sich in irgendeiner Form jenseits konventioneller Normen von Geschlecht und Sexualität bewegen. Das umfasst zum Beispiel trans, intergeschlechtliche, nicht-binäre oder nicht heterosexuelle Personen und noch viele mehr.

Und: In diesem Text wird im unteren Bereich das Thema „Suizid“ angeschnitten. Auch werden Gewalttaten gegen queere Personen beschrieben. Bitte entscheide eigenverantwortlich, ob du dich damit auseinandersetzen möchtest und kannst.

Ursprünge des Pride Month: Das war der Stonewall-Aufstand

New Yorker Christopher Street, 1969. Im Greenwich Village von Manhattan steht das legendäre Stonewall Inn. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 wehren sich sexuelle Minderheiten im Rahmen des Stonewall-Aufstands in der Szene-Bar erstmals vehement gegen Polizeigewalt. Das Ereignis markierte den Wendepunkt im Kampf der Schwulen- und Lesbenbewegung um Gleichberechtigung.

Denn im vermeintlich fortschrittlichen Amerika waren in den 1960er-Jahren die Lebensbedingungen für queere Menschen alles andere als rosig. Nicht nur wurden sie sozial geächtet. Wer sich als schwul, lesbisch oder trans outete, verlor meist sowohl Job als auch den familiären Rückhalt. Gleichgeschlechtlicher Sex galt als Verbrechen, ebenso wie das Tragen von Kleidung, die nicht dem biologischen Geschlecht entsprach.

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Selbst in New York City – damals bereits eine Hochburg queerer Subkultur –, wurden Homosexuelle und transidentitäre Menschen, die sich damals übrigens emanzipatorisch selbst als „Transvestiten“ bezeichneten – regelmäßig von der Polizei aufgegriffen. Eine Schankerlaubnis für Bars mit queerem Publikum gab es lange Zeit nicht.

Die Bars gab es natürlich trotzdem. Ebenso wie Drag Queens, schwulen Sex und queeres Leben. Oft wurden sie, wie das Stonewall Inn, von der Mafia betrieben. Der Schwarzhandel florierte, was der Stadt natürlich ein zusätzlicher Dorn im Auge war. Deshalb fanden regelmäßig Razzien statt.

Trotzdem fanden sich trans Personen, Schwule und Lesben dort ein. In Bars wie dem Stonewall Inn fanden sie einen Platz zum Feiern. Dort konnten sie Freund*innen und Liebhaber*innen treffen. Eine Weile sie selbst sein. Nicht „unnormal“. Da ertrug man sogar die Razzien, erduldete die Polizeigewalt, riskierte es, dass die eigene Identität öffentlich gemacht und das Leben, wie man es im Alltag bisher kannte, dadurch zerstört wurde. Es muss die Hölle gewesen sein. Und als die Polizei in den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 in das Stonewall Inn einfiel, beschlossen deren Besucher, sich diese Demütigungen nicht mehr gefallen zu lassen und zurückzuschlagen.

Stonewall

Sehr intensiv und informativ beschreibt das Ann Bausum in Stonewall - Breaking Out the Fight for Gay Rights das Geschehen.

Was ist in der Christopher Street passiert?

Auch wenn „Stonewall“, Roland Emmerichs Film aus dem Jahr 2015, etwas anderes vermuten lässt: Das Stonewall Inn wurde hauptsächlich von Hispanics und BiPoC besucht, von lesbischen Frauen sowie von auf der Straße lebenden Jugendlichen, die nach ihrem Outing zu Hause rausgeschmissen worden waren. Die Besucher*innen des Stonewall Inn bildeten eine Randgruppe in der Randgruppe.

Die Bar war in jener Nacht 1969 brechend voll – und die Razzia lief aus dem Ruder. Das mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die New Yorker Polizei sich von den Barbetreibern in der Regel ein ordentliches Schmiergeld dafür bezahlen ließ, eine Razzia vorher anzukündigen – und sie so früh am Abend durchzuführen, dass der Hauptbetrieb der Lokale nicht sonderlich gestört wurde. Viel Geld muss damals den Besitzer gewechselt haben.

Am 28. Juni 1969 war das anders. Die Polizist*innen warnten die Betreiber*innen des Stonewall Inn nicht vor – und kamen erst weit nach Mitternacht. Zunächst verlief alles wie üblich: Man verhaftete Personen, die sich nicht ausweisen konnten oder die sich nicht ihrem biologischen Geschlecht entsprechend kleideten. Die Besucher*innen der Bar ließen sich wie üblich ins Freie treiben. Als die Polizist*innen bei den Verhaftungen jedoch unnötig grob wurden, lief die Sache aus dem Ruder.

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Die Barbesucher*innen, die jahrelang aufgrund ihrer sexuellen Identitäten gedemütigt und misshandelt worden waren, solidarisierten sich: Die Stonewall Riots gingen los. Zunächst bewarfen sie die Polizist*innen nur mit Münzen, dann mit Trinkflaschen und schließlich sogar mit Steinen.

Und weil das Stonewall Inn in der Christopher Street mitten im pulsierenden queeren Viertel New Yorks lag, schlossen sich immer mehr Menschen dem Widerstand an. Gemeinsam gelang es ihnen, die Polizei in die Flucht zu schlagen. Dieser Erfolg spornte die Leute an. „Wir lassen uns das nicht mehr länger gefallen“, müssen viele gedacht haben. Die Gay-Pride-Bewegung nahm ihren Anfang.

Zwischen erster Liebe & Coming-out: LGBTQIA+-Jugendbücher fürs Herz

Was bedeutet „Gay Pride“?

Pride heißt wörtlich übersetzt „Stolz“. „Gay Pride“ ist ein komplexer Begriff. Er entstand beeinflusst vom engen Kontakt mit der Black-Power-Bewegung und durch ein neues Sprechen und damit Denken. Dieses wurde vor allem durch Schwarze (queere) Feminist*innen wie Bell Hooks, Audre Lorde und viele weitere geprägt. Schon Jahre bevor sich der Begriff „Gay Pride“ etablierte, adaptierten die Kämpfer*innen von Stonewall die Begriffe „Gay Liberation“ und „Gay Power“ für sich.

Two Boys Kissing

Sehr bewegend hat der US-Autor David Levithan in seinem herausragenden Jugendbuch Two Boys Kissing dazu Stellung bezogen.

Pride Month und Pride Parades: Brauchen wir das heute noch?

Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: unbedingt. So wurde zum Beispiel in Deutschland 2017 zwar die Ehe für alle eingeführt. Auch darüber hinaus hat sich mit Blick auf die Rechte von LGBTQIA+-Personen einiges getan. Aber das heißt noch lange nicht, dass alles gut ist.

So gilt das Wort „schwul“ nicht nur an Schulen immer noch als Schimpfwort. Einige Politiker*innen machen sich über trans Personen lustig. Viele queere Jugendliche haben Angst vor der Zukunft oder schämen sich, dazu zu stehen, wie sie sind.

Einige aktuelle Beispiele für Homophobie

  • In Deutschland mag Homosexualität seit 1994 nicht mehr strafbar sein. Aber in 69 anderen Staaten wird Homosexualität laut Angaben des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) weiterhin strafrechtlich verfolgt.

  • In 11 Ländern droht Lesben und Schwulen die Todesstrafe.

  • Ein schwuler Mann wurde in Berlin von einer Gruppe Männer zunächst homophob beleidigt, anschließend zu Boden gestoßen und mit Fußtritten gegen den Kopf verletzt, berichtete die Berliner Morgenpost 2022.

  • Phillipp Lahm, ehemaliger Fußball-Nationalmannschaftskapitän, rät in seinem 2021 erschienenen Hörbuch „Das Spiel“ homosexuellen Fußballern von einem Coming-out während der aktiven Phase ihrer Karriere ab, um ihre Karrierechancen nicht zu schmälern.

Mehr Fakten zur Lebensrealität von LGBTQIA+-Personen in Deutschland und weltweit

  • 2022 ergaben sich in Deutschland laut Bundesinnenministerium 1.051 Straftaten im Bereich der politisch-motivierten Kriminalität mit Bezug zu Geschlecht, sexueller Identität und beziehungsweise oder sexueller Orientierung, davon 190 Gewalttaten. Das Dunkelfeld liegt laut Einschätzung von Expert*innen aber deutlich höher.

  • In London wurden 2019 laut Angaben von Reuters zwei Lesben in einem öffentlichen Bus attackiert und verletzt.

  • 2021 hat eine trans Person in Berlin laut rbb24-Berichten öffentlich Suizid begangen.

  • Laut Angaben von tagesschau.de, die sich auf die EU-Grundrechteagentur FRA beruft, gaben im Jahr 2020 48 Prozent von mehr als 16.000 befragten queeren Menschen an, in ihrer Schulzeit gemobbt worden sein.

Die Welt ist toleranter geworden, aber noch nicht tolerant. Sie ist gleichberechtigter geworden, aber noch nicht gleichberechtigt. Und deshalb ist jede Pride Week und jede Pride genau so wichtig wie eh und je.

Du willst diesen Sommer eine Pride Parade besuchen? Dann findest du hier alle CSD-Termine 2023 für Deutschland, Europa und die Welt!

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