Könnt ihr euch noch daran erinnern, wann und in welcher Situation ihr zum ersten Mal einem Hörbuch oder einem Hörspiel zugehört habt? Wann statt Musik eine Geschichte aus dem Schallplattenspieler, Kassettenrecorder, Walkman, CD- oder MP3-Player kam?

Erinnert ihr euch noch, welche Stimmen und welche Geräusche dabei im Spiel waren? War es der onkelhafte Vorleser eines Märchens? Oder waren es die mehr oder weniger jugendlich klingenden Stimmen einer Kindergruppe auf Abenteuer? Was hat euch nachhaltiger beeinflusst? Was hört ihr heute?

Stimmen, die unser Leben begleiten

Für meine Generation, also für diejenigen, die in den 70er und 80er Jahren groß geworden sind, war die Sache klar: Denn aus akustischer Sicht war die Kindheit von den Abenteuern zahlloser Kriminalfälle lösender Jugendgruppen auf Hörspielschallplatten und -kassetten bestimmt – die perfekte Ergänzung zur Enid Blyton-Lektüre.

Hörspiele aus der Kindheit

Um die Jahrtausendwende gab es dann interessanterweise eine Renaissance exakt dieser Art Kinderhörspiele. Erwachsene Hörer, Fans und Sammler dieser Serien tauchten auf. Beinahe zeitgleich füllten auch Hörbücher massenhaft die Regale der Buchläden und der Internet-Shops. Erstaunlicherweise griffen viele reflexhaft zunächst zu den Hörspielen aus ihrer Kindheit. Warum?

Offensichtlich ist die nostalgische Kraft der Stimmen, die unsere Kindheit und Jugend begleitet haben, so groß, dass viele auch als Erwachsene über die lächerlich simplen Geschichten hinwegsehen. Völlig unverständlich wäre sonst der fortlaufende Erfolg beispielsweise der Drei ??? – als Hörspielserie und sogar als Live-Darbietungen mit den Originalsprechern – bei Erwachsenen wohlgemerkt!

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Wie lässt sich das erklären?

Gut vergleichbar ist dieser Effekt mit der Lesekarriere der meisten Menschen: So erreichen wir beispielsweise nie wieder die Intensität unserer ersten Lektüreerfahrungen. Das liegt natürlich nicht an den Büchern, sondern daran, dass wir Kinder waren. Die Hinwendung vieler erwachsener Menschen zu einfacher und mitunter kindlicher Lektüre entspricht deshalb häufig wohl der Sehnsucht, diese Intensität zu wiederholen. Stichwort: Immersion – also in fremde Welten ‚abzutauchen‘. Verstärkt gilt dies für Hörbücher und Hörspiele: Denn unsere prägenden Hörwahrnehmungen sind ja noch nicht einmal die von den Eltern vorgelesenen Märchen, sondern weit früher schon die Stimme einer Mutter, mit der sie ihr ungeborenes Kind beruhigt. Gut erklären lässt sich damit auch, warum Hörbücher für viele so gut auch als Einschlafhilfe funktionieren.

Wie ist es mit Hörspielen heute?

Ganz anders das Hörbuch. Der Begriff existiert erst seit 1954 – als nämlich in Marburg eine Bücherei für Blinde gegründet wird. Anders als beim Hörspiel gibt es hier meist nur eine Erzählerstimme – es ist also viel näher am elterlichen Vorlesemodell. Außerdem ist das Hörbuch ein Sekundärmedium. Radiohörspiele und auch Kinderhörspiele auf Kassette, CD oder als MP3-Tondatei sind meist originäre Stücke. Das Hörbuch hingegen vertont immer eine schon existierende Vorlage – eben ein schon erfolgreiches Buch.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Wann und in welcher Situation hört man aber Hörbücher? Wozu – und auch wo – benötigt man einen Vorleser, einen Märchenonkel? Auffällig gut dient das Hörbuch ja als Ort der Ruhe – nämlich dann, wenn man sich bewegt: beim Joggen, im Auto oder in der Bahn. Funktioniert ein Hörspiel mit vollem „Kino im Kopf“-Einsatz der Soundeffekte genauso gut?

Wie seht ihr das? Und wie ist eure Hörspiel-und-Hörbuch-Karriere verlaufen? Und vor allem: Was zieht ihr heute vor? Den Dialog und das Soundgewitter eines Hörspiels oder den Erzähler eines Hörbuchs? Oder kommt es auf die Gelegenheit an?

Dieser Beitrag kommt von unserem Gastautor Dr. Arno Meteling - Literatur-und Medienwissenschaftler in Köln.

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