Seit dem 29. Juli steht fest: Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an den Historiker und Osteuropa-Experten Karl Schlögel. Die Verleihung der mit 25.000 Euro dotierten Auszeichnung ist jedes Jahr eines der großen Highlights auf der Frankfurter Buchmesse. Sie wird traditionell in der Frankfurter Paulskirche zelebriert und findet in diesem Jahr am 19. Oktober statt.
Aber was genau sind überhaupt die Verdienste von Karl Schlögel? Und wie begründet die Friedenspreis-Jury ihre Entscheidung? Im Folgenden findest du die wichtigsten Infos über den Preis, seine Hintergründe und den Ehrenträger.
Wer ist Karl Schlögel und wofür bekommt er den Friedenspreis?
Karl Schlögel gilt als einer der profiliertesten Kenner Osteuropas und Russlands. Geboren 1948, bereiste er bereits als Teenager in den 1960er Jahren die damalige Sowjetunion. Im Rahmen seiner Slawistik-Studien folgten Forschungsaufenthalte in Moskau und Leningrad. Spätere Recherchereisen führten ihn unter anderem in die Ukraine. Seit den 1980er Jahren ist Schlögel als Publizist tätig. Inzwischen hat er über 30 Bücher als Autor, Herausgeber und Übersetzer veröffentlicht. Die meisten setzen sich mit Osteuropa und Russland auseinander.
„Er hat Kyjiw und Odessa, Lwiw und Charkiw auf die Landkarten seiner Leserinnen und Leser gesetzt und St. Petersburg oder Moskau als europäische Metropolen beschrieben.“
Mit diesen Worten würdigt die Friedenspreis-Jury Schlögels aufklärerische Arbeit der vergangenen zehn Jahre. Er habe nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 als einer der Ersten vor der aggressiven Expansionspolitik Wladimir Putins gewarnt und die Ukraine als Teil Europas beschrieben, den es zu verteidigen gälte, so die Jury.
In der Tat veröffentlichte Ukraine-Kenner Schlögel schon 2015, als direkte Reaktion auf Russlands Einmarsch auf der Krim, jenen Band, den die Frankfurter Rundschau später als „Buch der Stunde“ feierte: Entscheidung in Kiew.
In Entscheidung in Kiew verbindet Schlögel literarische Liebeserklärungen an die Städte und die Kultur der Ukraine mit Analysen ihrer Gefährdung durch Russland. Als die Erstausgabe des Buches erschien, hielten selbst viele Expertinnen und Experten den am 24. Februar 2022 durch Russland begonnenen Angriffskrieg gegen die Ukraine noch für undenkbar. Aus dieser Sicht war schon Schlögels Einleitung hellsichtig, in der es heißt:
„Wir wissen nicht, wie der Kampf um die Ukraine ausgehen wird (...) Nur so viel ist gewiss: Die Ukraine wird nie mehr von der Landkarte in unseren Köpfen verschwinden.“
Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges wurde Entscheidung in Kiew vom Autor aktualisiert und um den Abschnitt „Nach dem 24. Februar 2022“ ergänzt. So kommt die Friedenspreis-Jury am Ende ihrer Begründung zu dem Schluss: „Seine Mahnung an uns: Ohne eine freie Ukraine kann es keinen Frieden in Europa geben.“
Welche Titel von Karl Schlögel sind noch als Hörbücher erschienen?
Karl Schlögel hat nicht nur Bücher über Osteuropa und Russland geschrieben. So ist sein jüngster Bestseller American Matrix – Besichtigung einer Epoche von 2023 eine historisch-politische Abrechnung mit den USA. Dieser Titel ist allerdings nicht als Hörbuch erschienen – im Gegensatz zum epischen Essay Planet der Nomaden aus dem Jahr 2006. Darin betrachtet der Historiker internationale Migrationsbewegungen im Lauf der Jahrhunderte.
In Planet der Nomaden erzählt Karl Schlögel „Weltgeschichte als Wanderungsgeschichte“ und verfolgt damit aktuelle gesellschaftliche Konflikte zu ihren Ursprüngen zurück. Problemfelder wie Zwangsmigration, Umsiedlung und Vertreibung sind dabei ebenso Thema wie die Chancen und Notwendigkeiten von Zuwanderung in einer internationalisierten Welt. Denn, so Schlögel im Text: „Globalisierung ohne Migration gibt es nicht.“
Die taz attestierte Planet der Nomaden eine „Mischung aus Wüstenromantik und Steven Spielberg“. Eine schöne Charakterisierung dieser assoziationsfreudigen historischen und kulturellen Einordnung des Themas Migration.
Im 912-Seiten-Wälzer Das Sowjetische Jahrhundert aus dem Jahr 2017 war Schlögel hingegen wieder beim Kernthema seiner Forschungen: Osteuropa. Die umfassende Abhandlung über das abgeschlossene historische Kapitel des Sowjet-Imperiums erschien im deutschen Original nur als gedruckte Fassung. Wer gern Hörbücher auf Englisch hört, kann sich aber die britische Hörfassung vornehmen. Damit ist man eine Weile beschäftigt. Sie dauert nämlich 30 Stunden.
Ähnlich wie in Entscheidung in Kiew erschließt Schlögel auch The Soviet Century über die Schauplätze historischer Ereignisse, Alltagsikonen und persönliche Eindrücke zurückliegender Reisen. Die Themen reichen von Petrograd (heute St. Petersburg) bis Magnitogorsk am südlichen Ural, von Tschechow bis Stalin und vom Athletenkult der „Fizkultura“ bis zum „Spetskhran“ (Katalog verbotener Bücher). So beschwört das Buch tatsächlich das, was der Untertitel verspricht: die „Archeology of a Lost World“ – „Archäologie einer untergegangenen Welt“.
Was ist der Friedenspreis und wer hat ihn vor Schlögel bekommen?
Der Friedenspreis wird seit 1950 einmal im Jahr an eine Person vergeben, „die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat“. So sehen es die Statuten aus dem Gründungsjahr vor, die bis heute gültig sind. Die geehrten Personen können jede Nationalität haben, ihre Arbeit hingegen soll internationale Strahlkraft besitzen.
Vergeben wird der Preis durch den achtköpfigen Stiftungsrat des Friedenspreises. Dieser besteht aus drei festen Mitgliedern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und sechs externen Kräften, die alle drei Jahre wechseln. Dotiert ist der Preis mit 25.000 Euro. Im Lauf der Jahrzehnte ging die Auszeichnung unter anderem an Max Frisch (1976), Astrid Lindgren (1978), Amos Oz (1992) und Margaret Atwood (2017).
Die Laudatio bei der Preisverleihung wird stets von einer prominenten Geistesgröße gehalten. Auch Karl Schlögel war schon zweimal als Laudator in der Paulskirche im Einsatz – 2009 für den italienischen Literaturwissenschaftler Claudio Magris und 2013 für die belarussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch. Wer die diesjährige Laudatio halten wird, steht bislang noch nicht fest.
Mit der diesjährigen Auszeichnung zeichnet der Stiftungsrat zum zweiten Mal in Folge eine Person aus, die mit ihrer Arbeit unmittelbar auf die Gefahren eingeht, die vom imperialistischen Gebaren des russischen Präsidenten Putin ausgehen. Im Jahr zuvor hatte Anne Applebaum den Preis erhalten, die sich in Der Gulag ebenfalls den Vermächtnissen der Sowjetunion gewidmet hatte und auf der Buchmesse 2024 ihr jüngstes Werk Die Achse der Autokraten vorstellte.
In Die Achse der Autokraten erklärt Anne Applebaum, wie die Diktatoren der Welt hinter den Kulissen zusammenarbeiten – von China bis Belarus, vom Iran bis Venezuela, von Syrien bis Russland. In akribisch recherchierten Beiträgen legt die Autorin dar, wie sich die Autokraten von heute gegenseitig unterstützen, indem sie einander zu Ressourcen, Sicherheit und Straffreiheit verhelfen. Die Folge ist die systematische Untergrabung westlicher Demokratien.
Friedenspreis 2025: Literatur, die Frieden stiftet, bei Audible entdecken!
Die Autorinnen und Autoren, die innerhalb von 75 Jahren mit dem Friedenspreises geehrt wurden, arbeiteten in unterschiedlichen Bereichen – von Sachbuch-Genres wie Politik & Sozialwissenschaften bis Literatur & Belletristik. Bei Audible kannst du Werke ausgezeichneter Größen wie Salman Rushdie, Swetlana Alexijewitsch oder Mario Vargas Llosa entdecken. Falls du Audible noch nicht ausprobiert hast: Im Probemonat streamst du unbegrenzt Tausende von Hörbüchern, Hörspielen und Original Podcasts. Zusätzlich erhältst du einen kostenlosen Titel, den du für immer behalten kannst.