Sie sind gerade in Italien – Ferien oder Homeoffice?

Homeoffice. Ich schreibe gerade das Drehbuch zu meinem Buch "Die Ältern". Eigentlich wollte ich längst wieder zurücksein. Aber ich habe so ein altes Auto, und es ist noch in der Werkstatt. Ich könnte theoretisch noch hierbleiben – solange ich meinem Sohn das Haushaltsgeld überweise, gibt es kein Problem für ihn. Mich braucht niemand dringend zu Hause. 

Ihr Buch "Kühn hat zu tun" ist gerade als Hörspiel erschienen. Sie haben alle Ihre Bücher bisher selbst eingesprochen, dieses nicht. Inwieweit waren Sie bei dieser Produktion involviert? 

Überhaupt nicht. Das fand ich auch mal interessant. Ich habe 31 Produktionen mit dem Hörverlag gemacht, auch weil ich immer die Sorge hatte, dass ein anderer Sprecher den Text falsch interpretieren könnte. Bei dieser Hörspiel-Produktion jetzt waren aber gute Leute am Start. Ich fand es spannend zu sehen, welche künstlerischen Entscheidungen sie getroffen haben. Im nächsten Teil, "Kühn hat Ärger", habe ich übrigens einen kleinen Cameo-Auftritt. 

Kühn hat Ärger

Wie gefällt Ihnen das Ergebnis?

Gut! Ich finde, Kühn-Sprecher Fabian Hinrichs und ich haben ein ähnliches Timbre. Es gibt Passagen in "Kühn hat zu tun", da dachte ich: Der klingt ja wie ich. In den Kühn-Büchern gibt es diese Momente, in denen Kühn mit sich selbst redet – innere Monologe, die teilweise sehr lang sind. Wenn das falsch gemacht wird, dann denkt man beim Zuhören:

"Zu wem spricht der gerade?" Das hat das Produktionsteam gut gelöst. Ich habe das Hörspiel letzten Freitag gehört, während ich Feigen geschnippelt habe. Und dabei habe ich zwischendurch ganz vergessen, dass ich das selbst geschrieben habe. Sonst bin ich wahnsinnig kritisch, wenn ich Hörbücher von mir selbst höre. Ist ein Wort falsch betont, ärgere ich mich. Aber das Hörspiel konnte ich mir jetzt einfach mit Freude anhören. 

Kühn hat zu tun

Sie haben mit Kühn einen Kommissar erschaffen, der sehr geliebt wird, weil sich so viele Menschen in ihm wiedererkennen. Trotzdem sind Sie der Meinung, dass „Kühn hat zu tun“ kein Krimi ist. Was dann?

Das ist ein Gesellschaftsroman. Die ursprüngliche Idee war gar nicht, einen Kriminalfall zu erzählen. Sondern etwas über einen Mittvierziger zu erzählen, der vom Leben und seinen Funktionen überfordert ist. Zuerst dachte ich nicht an einen Kommissar, sondern an einen Optiker. Es ging mir um Menschen, die noch im analogen Zeitalter aufgewachsen sind. Jetzt werden sie links und rechts von der Digitalisierung überholt. Sie werden "Boomer" genannt und haben sich schuldig gemacht, weil sie langbekannte gesellschaftliche Probleme nicht gelöst haben. Es ist eigentlich eine Looser-Generation, zu der ich mich auch zähle. Ich wollte von der Überforderung eines solchen Mannes erzählen. 

Das trifft auf Sie auch zu.

Das trifft auf alle zu, die in meiner Generation geboren sind, und das macht diese Figur so beliebt. Die Leute sagen: Ja, ich kenne das genau. Wo soll ich denn jetzt noch den blöden Schnippi-Käse herkriegen? Kühn hat dieses giftige Zeug im Keller, möglicherweise ist sein Haus nichts mehr wert, er muss es aber noch 20 Jahre lang abbezahlen. Sein Sohn entgleitet ihm und zwischen ihm und seiner Frau gehen langsam die Lichter aus. Sein Bürostuhl ist kaputt, er wird nicht mehr befördert – und er rennt noch herum, wie in den Neunzigern, wo er sich zuletzt wohl gefühlt hat. Das sind die Befindlichkeiten von Menschen, die Angst haben, abgehängt zu werden.  

Kühn hat diesen stetigen Gedankenstrom im Kopf und auch Sie kennen dieses Phänomen. Was machen Sie gegen das Grübelkarussell?

Ich hatte das Problem tatsächlich auch mal. Diese zwanghafte Grübelei kennen unheimlich viele Leute. Man kommt bei jedem Gedanken nur an einen bestimmten Punkt, dann kommt schon der nächste Gedanke und der wird überlagt von einem weiteren Gedanken. So kann man die Probleme, die hinter diesem Gesumme und Gebrumme liegen, aber nicht lösen. Das geht weg, wenn man für eine dieser Schwierigkeiten eine valide Lösung findet.

Nur für eine?

Ja. Ich hatte ein berufliches Projekt, das nicht funktioniert hat. Das hat dazu geführt, dass ich in den Grübelzwang reingeraten bin. Irgendwann in der Nacht fiel mir die Lösung dafür ein. Als das eine Problem gelöst war, waren die anderen nicht mehr so wichtig. Kühn hat das auch: Am Ende der Geschichte versteht er die Zusammenhänge. 

Sie selbst arbeiten immer an mehreren Projekten gleichzeitig, haben Sie einmal verraten – das fördert die Konzentration ja eher nicht, oder?

Ich kann einfach nicht anders. Ich springe von einer Sache zur anderen und muss wahnsinnig viel im Kopf behalten. Wenn ich nämlich eine Idee oder eine gute Formulierung aufschreibe und später noch mal drauf gucke, dann mag ich die Idee nicht mehr, weil ich sie ja schon mal aufgeschrieben habe – und dann langweilt sie mich. Das ist gerade bei der Drehbuchadaption für "Die Ältern" ein unheimliches Problem. Es macht mir Mühe, weil ich das ja alles schon mal geschrieben habe, wenn auch in anderer Form.

Die Ältern

Warum lassen Sie es nicht jemand anderen machen?

Dann habe ich keine Kontrolle mehr darüber. Wenn es um meine eigenen Sachen geht, bin ich ausgesprochen wenig teamfähig. Darum muss ich etwas entweder allein machen oder mich ganz raushalten wie beim Kühn-Hörspiel. Ich bin froh, wie das bei diesem Projekt gelaufen ist. Das Team hat das mit viel Empathie und Freude an dem Material umgesetzt. 

Kommen die anderen beiden Teile auch als Hörspiel heraus?

Ja, der zweite Teil ist schon produziert, das wurde gleich in einem Rutsch gemacht. Der dritte noch nicht. Im zweiten habe ich eine kleine Rolle als Manager von der Reform-Bank. Der erklärt Kühn bei einer Gartenparty, wie er eine Chance vor Gericht hätte, gegen die Bank zu gewinnen. Ein etwas arroganter, aber letztlich ganz geiler Typ, der dem armen Kühn sagt: Junge, du kapierst es einfach nicht.

Was kommt eigentlich nach den "Ältern"? "Die Scheintoten"? "Die Seniorendämmerung"?

Also, erstmal kommt im März ein neuer Roman, der ist schon fertig. Er heißt "Der Markisenmann" und handelt von einem erfolglosen Markisenvertreter. Dann kommt im März der Kinofilm "Eingeschlossene Gesellschaft". Sönke Wortmann hat die Regie gemacht, ich habe das Buch geschrieben, Anke Engelke und Florian David Fitz spielen mit. Die Buch-Fortsetzung von den "Ältern" kommt wahrscheinlich erst 2023. Nächstes Jahr wollen wir die Kinoversion von den "Ältern" drehen. Dafür muss ich jetzt aber erstmal die ganzen Pointen aus den Kolumnen fürs Drehbuch umschreiben. Das ist ganz schön quälend. 

Der Markisenmann

Das klingt ja furchtbar.

Ja, ich habe ein grauenhaftes Leben. Ich bin so arm dran! (Lacht)

"Jan Weiler schmeckt kein Rotwein mehr" war nach Ihrer Covid-Erkrankung mehreren Zeitungen eine Schlagzeile wert. Wie ist das eigentlich, wenn man so sehr in der Öffentlichkeit steht? 

Das ist schon komisch, weil meine Selbstwahrnehmung natürlich eine andere ist. Ich kann nicht nachvollziehen, was daran so interessant sein soll.

Eingeschlossene Gesellschaft

Ist das Interesse der Öffentlichkeit an Ihnen und Ihrer Familie manchmal ein Streitpunkt gewesen zwischen Ihnen und Ihren Kindern?

Nein, ich habe die immer total rausgehalten, und meine Frau auch. Gerade, als das Buch "Das Pubertier" so richtig populär wurde. 

Aber geschrieben haben Sie schon viel über Ihre Kinder.

Nein. Die Geschichten sind manchmal von meinen Kindern inspiriert, manchmal auch gar nicht. Über das wirkliche Leben meiner Kinder steht nichts in den Kolumnen. Diese Grenze handhabe ich sehr restriktiv. Es gibt Geschichten, die allgemeingültig sind. Wie der Streit um den W-LAN-Router, der kommt in allen Familien vor. Das kann man also thematisieren. Aber ich würde nie eine Geschichte machen, in der meine Kinder identifizierbar sind. Ich habe jede Kolumne abends auf den Tisch gelegt, damit alle in der Familie sie lesen können. Mein Sohn hat sie nie gelesen. Meine Tochter hat sie manchmal gelesen und fand es interessant, wie ich das technisch gemacht habe. Aber es wäre für diese Arbeit nicht zwingend nötig, eine Familie zu haben. Wer Science-Fiction schreibt, ist ja auch nicht automatisch Astronaut. Karl May hat Western geschrieben, ist aber nie aus Sachsen herausgekommen.

Das Pubertier

Sie hatten durch eine Covid-19-Erkrankung Ihren Geschmackssinn teilweise verloren – schmeckt der Rotwein denn mittlerweile wieder?

Es wird langsam besser. Nur Zitrusfrüchte gehen immer noch nicht – eine Scheibe Zitrone im Gin Tonic und das ganze Getränk schmeckt nach alter Butter. Und ich habe diese anfallartige, bleierne Müdigkeit, die mich an manchen Tagen plötzlich übermannt. Dann muss ich mich sofort hinlegen. Das hatte ich vorher nie; ich war nie von der Mittagsschlaf-Fraktion. Das ist quälend, denn man nimmt sich als so unproduktiv wahr. Aber ich bin da demütig, es hätte schlimmer kommen können. Und zum Schreiben brauche ich weder meinen Geschmacks- noch meinen Geruchssinn.

Jetzt sind Ihre Pubertiere zur Hälfte ausgezogen.

Ja, meine Tochter ist schon weg und mein Sohn zieht wahrscheinlich nächstes Jahr aus, der ist schon ganz wild darauf. Dabei hat er es so gut bei mir! 

Freuen Sie sich auch auf die neue Freiheit oder überwiegt doch die Wehmut?

Ich bin so ein sentimentaler Hund. Wenn es nach mir ginge, wären meine Kinder für den Rest ihres Lebens zwölf und acht Jahre alt. Vielleicht ändert sich das noch. Natürlich haben meine Frau und ich ganz neue Freiheiten. Bis jetzt wurde mein Leben durch meine Funktionen gestaltet – ein bisschen wie bei Kühn. Wenn diese Funktionen wegfallen, gibt es keine Ausreden mehr, dann muss man sein Leben selbst gestalten. Damit gehen viele Menschen sehr ängstlich um.

Sie auch?

Nicht mehr so wie früher. Ich befreie mich daraus. Ganz langsam.