„Brüder“ heißt der Roman der Berliner Autorin Jaeckie Thomae. In ihm beschreibt die Tochter einer Ostdeutschen und eines Vaters aus Guinea die Geschichte zweier Brüder, Mick und Gabriel. Sie haben denselben Vater, aber unterschiedliche Mütter. Eines haben sie allerdings gemeinsam. Sie sind vaterlos aufgewachsen. Entwickelt haben sie daraus zwei unterschiedliche Lebensentwürfe und -geschichten. Benno Fürmann spricht Mick.

Benno, wie bist du zu „Brüder“ gekommen?

Jaecki hatte mich direkt angesprochen, weil wir uns kennen. Es ist die Geschichte von zwei Brüdern, die ihren Vater nicht kennen, von vaterlosen Männern, die unter verschiedenen Voraussetzungen aufgewachsen sind. Dabei stellt der Roman eine Frage, die für alle Menschen interessant ist: Sind wir Opfer unserer genetischen Disposition und welchem Anteil hat die Sozialisation?

Hat dich deshalb dieser Roman besonders angesprochen?

Mick, der Bruder, den ich spreche, ist exakt mein Baujahr. Ich fühle mich da seiner subjektiven Rückschau verbunden, ab einem gewissen Alter innezuhalten und zu gucken: Was war bisher? Da gibt es einen Sack voller Gold, aber auch ein paar Leichen im Keller. Doch ohne dieses Gesamtkonglomerat wäre man nicht da, wo man ist. Hätte man etwas auslassen können? Wahrscheinlich. Und ein paar Sachen würde ich sicher nicht wiederholen. Ich bin da aber wie Mick, liebevoll in meiner Rückschau – selbst, wenn es teilweise nicht so toll war. Der Mensch, der ich bin, bin ich, weil ich die Narben trage, die ich trage, und die Menschen getroffen habe, die ich getroffen habe, und die Dinge getan habe, die ich getan habe. Und hoffentlich bin ich auch ein Stückchen weiser.

„Brüder“ hat dich also zum Nachdenken gebracht?

Jede gute Lektüre hilft zu expandieren, deinen eigenen Resonanzraum zu vergrößern. Man geht mit offenen Augen durch die Geschichte, weil man diese Gefühle auf sich übertragen kann, die zwar subjektiv sind, aber von der Prägung universell genug, dass man sich darin wiederfinden kann. Hier ist die Analogie eben auch der Jahrgang 1972, die Berliner Clubs. Das ist cool, wenn du die Orte kennst, die Straßen mitgehen kannst. Da kommen ganz präzise Bilder. Es hat mir Spaß gemacht, mit Mick durch diese Berliner Straßen zu ziehen.

Hilft das auch beim Sprechen im Tonstudio?

Bilder helfen beim Sprechen, weil es plastischer wird. Beim Lesen geht es primär um eine Haltung und diese Haltung prägst du im Idealfall, wenn du die Situationen vor dir siehst – desto mehr Fleisch bekommt das Lesen.

Brüder

Wie unterscheidet sich für dich die Arbeit des Sprechers von der des Schauspielers?

Die Vorbereitung ist anders. Gründlichkeit hilft aber in beiden Fällen. Beim Drehen als Schauspieler steigt man tiefer ein. Man ist emotionaler. Man geht emotionaler in die Tiefe, das würde beim Sprechen den Rahmen sprengen. Als Sprecher bin ich gleichzeitig auktorial und ein bisschen Mick, behalte aber Abstand. Der Abstand beim Spielen wäre irritierend. Für beide Bereiche gilt: Ich kann mehr improvisieren und den Text kommen lassen, je mehr Landkarte ich im Kopf habe.

Wie bereitest du dich auf das Sprechen vor?

Ich muss den Text ein paarmal lesen. Einmal, um zu verstehen, worum es geht, dann mache ich mir Häkchen und Notizen und dann lese ich alles noch mal.
Das erfordert eine lange Vorbereitungszeit. Beim Sprechen und Spielen bin ich in der glücklichen Position, auswählen zu können, weil genug Angebote kommen, die mich interessieren. Gute Literatur ist etwas, das Anker sein kann, bei guten Texten habe ich nie das Gefühl, dass ich Zeit vergeude. Und das transportiert sich hoffentlich auch in Audio. Einmal kam ein junger Mann zu mir und sagte: Herr Fürmann, ich habe die Ringparabel in Nathan der Weise nie verstanden. Durch die Art, wie sie sie gelesen habe, hat es sich mir erschlossen. Dann habe ich meine Arbeit gut gemacht. Ich bin gerne die Dekantierkaraffe für gute Texte.

Wir sitzen hier in den gerade neu eröffneten Audible Studios. Du bist einer der Ersten, der hier arbeitet. Wie war es?

Die Studios haben einen ganz tollen trockenen, gedämpften Klang. Absolut perfekt. Ich kann dem Regisseur in die Augen schauen und habe vor mir den Text. Perfekte Bedingungen.

Foto: Pascal Bünning

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