Heutzutage, da glitzern Vampire, trinken nur tierisches statt Menschenblut, verlieben sich und leiden an gebrochenem Herzen, wenn’s dann doch nicht klappt. Vorbei die Tage, in denen die Könige der Nacht ihre spitzen Fangzähne in den cremeweißen Hals einer üppig ausgestatteten Schönheit bohren. Was ist nur aus dem Vampir geworden? Darüber haben wir mit Doktor Peter Mario Kreuter, Südosteuropahistoriker und Vampirforscher, gesprochen.

Vom Bauer zum mordenden Untoten

Den ersten in den Verwaltungsakten der Habsburgermonarchie überlieferten Fall eines Vampirs gab es im Jahr 1725. Die Österreicher hatten vor nicht allzu langer Zeit mit den Osmanen Frieden geschlossen. Große Teile des heutigen Bosniens, Rumäniens und Serbiens waren österreichisch. In dem Dorf Kisolova herrschte Angst und Schrecken, die Dorfbewohner waren sich sicher: Bei uns gibt es einen Mörder. Der ist aber schon tot. Und so wurde aus dem slawonischen Bauern Peter Plogojowitz der erste Vampir, der als solcher in die Archive einging.

Nachdem in seinem Dorf mehrere Menschen nach einer kurzen, mysteriösen Krankheit starben, glaubte man, der Bauer sei nach seinem Tod als Vampir wiedergekehrt. Als sein Sarg geöffnet wurde, sah er überraschend frisch aus – und hatte etwas an den Lippen, das wie frisches Blut aussah. Erst als die Dorfbewohner ihm einen Pfahl durchs Herz gerammt und seinen Leichnam verbrannt hatten, kehrte wieder Ruhe in Kisolova ein.

Biss zur Mitternachtssonne

Doch die Vampir-Hysterie nahm gerade erst ihren Anfang. „Die Behörden fingen an, Ärzte in die betroffenen Dörfer zu schicken, die schauten, ob es Krankheiten gab, und Särge öffneten“, so Doktor Kreuter. „Zum Teil waren sie erstaunt, wie gut die Toten nach längerer Zeit noch aussahen.“ Allerdings war damals das Wissen darüber, welche Faktoren bei der Verwesung eines Leichnams eine Rolle spielen, noch relativ begrenzt.

Einer der Ärzte erzählte jedenfalls seinem Vater von einem solchen Auftrag. Dieser wiederum war Mitarbeiter der ersten regelmäßig erscheinenden medizinischen Fachzeitschrift Deutschlands und veröffentlichte in ebenjener einen Artikel über Vampire.

Vampir-Debatte zwischen Kirche und Wissenschaft

Was nun folgte, war eine hitzige Debatte zwischen Theologen und Medizinern, die sich darüber stritten, ob es die Blutsauger nun gab – oder eben nicht. Kreuter dazu: „Die Theologen wollten das theologisch erklären, die Mediziner sahen das selbstverständlich anders.“ Alles Einbildung, meinten die Mediziner.

Theologische Traktate, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, zeigen wiederum, dass sich die griechisch-orthodoxe Kirche den Glauben an Vampire gerne zunutze gemacht hat: Wer aus der Kirche ausgestoßen wurde, zum Beispiel als Strafe für eine besonders schwerwiegende Sünde, wurde auch nicht orthodox beerdigt – und kann angeblich nicht verwesen. Und wer nicht verwest, der wird zum Vampir.

Interview with the Vampire

Einem deutschen Arzt, der Mitte des 18. Jahrhunderts nach Siebenbürgen gereist war, um dem Vampirmythos auf den Grund zu gehen, fiel auf: In der Region waren es nur die Rumänen, die von Vampiren heimgesucht wurden, nicht aber die Ungarn oder die Siebenbürger. „Er stellte außerdem fest, dass die Fälle sich immer rund um die sehr strengen Fastenzeiten der Orthodoxen häuften“, berichtet Kreuter. „Wenn die Fastenzeit zu Ende war, wurde gefressen und gesoffen, was das Zeug hielt. Dann erkrankten mehrere Leute, verfielen in Delirium-ähnliche Zustände und fingen an, solche Geschichten zu erzählen.“

Und diese Geschichten hielten sich hartnäckig – ganz gleich, was die Ärzte sagten. „Der Vampir ist im Volksglauben ein Problem, weil er nicht mehr in die Welt gehört. Der ist tot und begraben und hat hier nichts mehr zu suchen“, erklärt Doktor Kreuter. „Er ist wie eine Krankheit allein schon deswegen schädigend, weil er noch auf der Welt ist.“

„Ich bin aus Fleisch und Blut, aber ich bin kein Mensch. Ich bin kein Mensch mehr seit 200 Jahren.“

Aus dem Film „Interview mit einem Vampir“ (1994)

Mit spitzen Eckzähnen ausgestattet war der Vampir im 18. Jahrhundert übrigens nicht unbedingt. „In Quellen findet man nie einen Hinweis darauf, wie er an das Blut kommt“, so Kreuter. „Er setzt sich auf die Brust seiner Opfer oder steht in der Ecke, schaut die Leute an und die sterben dann.“

Knoblauch und Co. – die Anti-Vampir-Abwehr

Entsprechend ausgeklügelt wurden die Abwehrmethoden. So wurden Särge zum Beispiel mit geriebenem Knoblauch eingerieben oder, wie Kreuter erzählt, „eine geschälte Knoblauchzehe in den After des Verstorbenen eingeführt“. Pfählen, ein Holzpflock durchs Herz oder Enthaupten galten ebenfalls als wirksame Mittel, um den Vampir endlich ins Jenseits zu befördern.

Für den Fall, dass sich die Verwandlung nicht verhindern ließ, wurden Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass der Vampir seinem Sarg entkommt – und zwar, indem man den Leichnam in ein Fischernetz einwickelte. „Deswegen besorgten die Leute sich selbst in Gegenden, in denen es kein Sinn ergab mit Netzen zu fischen, weil dort nur ein flacher Bach war, Fischernetze“, so Kreuter. Eine Sichel im Grab sollte ebenfalls verhindern, dass der Vampir sich im Sarg bewegt.

Fast schon amüsant erscheint da der Brauch, Mohn oder Sonnenblumenkerne in größerer Zahl in den Sarg zu geben. Kreuter dazu: „Vampire haben quer durch den südosteuropäischen Volksglauben einen Zähltick. Weil sie eben auch ein bisschen doof sind, werden sie sich immer wieder verzählen, sodass sie nicht aus dem Sarg rauskommen, bis sie alle Kerne gezählt haben.“

Lieblingsland der Vampire: Rumänien

Auch wenn der Vampirglauben seinerzeit recht weitverbreitet war, im 19. Jahrhundert war es Rumänien, genauer genommen Siebenbürgen, das zum Zentrum der Vampire wurde. Schuld daran war Bram Stoker, der mit Dracula den wohl bekanntesten Vampir der Literaturgeschichte erschaffen hat.

Dracula

Dabei ist das eher dem Zufall zu verdanken: „Stoker wollte seinen Roman eigentlich ‚Count Vampire of Styria‘ nennen. Zu der Zeit spielten Gruselromane häufig im Alpenraum – denken Sie nur an Frankenstein“, erklärt Kreuter. „Doch dann kam Stoker in einer Bar mit Hermann Vámbéry ins Gespräch, ein ungarischer Orientalist und vermutlicher Geheimagent. Der brachte Stoker wahrscheinlich auf Siebenbürgen.“ Stoker besorgte sich für seine Recherchen zum Buch also diverse Nachschlagewerke über die Region – und „letztlich hat er den Namen ‚Dracula‘ einfach des Klangs wegen ausgesucht“, meint der Historiker.

Vampire im Wandel

Bis ins 19. Jahrhundert war übrigens oft nicht nur von Vampiren, sondern auch von Vampirinnen die Rede. Das ändert sich erst mit dem Kino: Plötzlich sind Vampire meist männlich. „Das Kino kam zu jener Zeit vermehrt vom amerikanischen Kontinent und damit eben aus einer Kultur, wo Frauen zu der Zeit eher zur Staffage wurden“, so Kreuter.

Mit dem amerikanischen Kino änderte sich so einiges am Vampirmythos: Bei Stoker kann Graf Dracula noch tagsüber im Sonnenschein durch London spazieren, in Filmen ist Sonnenlicht tödlich für die Blutsauger. Im Stummfilmklassiker „Nosferatu“ aus dem Jahr 1922 hat Graf Orlok noch niedliche kleine Hasenzähnchen, heute gehören die spitzen Eckzähne zum Vampir. Irgendwann verpasste also irgendein Maskenbildner einem Film-Blutsauger genau solche Zähne – et voilà.

Über die Jahrhunderte hinweg: Faszination Vampir

Doch warum faszinieren uns Vampire auch heute noch so sehr? Eine Frage, die sich auch Doktor Kreuter schon gestellt hat. Er denkt, es liegt daran, dass der Vampir so voraussetzungslos ist: „Vampire gehen immer. Sie immer wieder neu erfunden werden. Dann glitzern sie halt. Dann werden sie zum Vegetarier und trinken nur noch Blutorangensaft. Wir können mit ihnen alles machen, weil die Gestalt aus nur ganz wenigen Elementen besteht: Tod, Bedrohung und Blut. Sie sind sehr wandelbar.“

„Aber bald wandelten sich meine Empfindungen zu Abscheu und Entsetzen, als ich sah, wie der ganze Mann langsam aus dem Fenster herausstieg und an der Schlossmauer hinabkletterte, und zwar mit dem Kopf nach unten über dem schrecklichen Abgrund hängend, wobei sich sein Mantel wie ein großes Flügelpaar um ihn bauschte ...“

Aus „Dracula“ von Bram Stoker

Auch der Glaube an Vampire hat sich gewandelt: In Rumänien ist der Volksglaube zwar immer noch verbreitet, vor allem im südlichen Teil des Landes, heutzutage achtet man aber vor allem darauf, dass man beim Begräbnis alles richtigmacht, damit der Verstorbene gar nicht erst zur Vampirin oder zum Vampir wird, erläutert Doktor Kreuter.

So wird zum Beispiel darauf geachtet, dass keine Katze über den Toten springt oder dass der Verstorbene sich nicht in einem Spiegel sieht. Dennoch, die Gefahr ist real: „Sie können als guter, braver Mensch zum Vampir werden, wenn Ihre Angehörigen es verbocken!“ warnt der Historiker.