Fast im Minutentakt erreichen uns Nachrichten – per Radio und Fernsehen, als Schlagzeile am Kiosk auf dem Weg zur U-Bahn, als Newsletter oder Podcast, in Form von Tweets oder Instagram-Posts. Dank Push-Benachrichtigungen bleiben wir stets auf dem Laufenden, verpassen weder Eilmeldungen noch Triviales. Je nachdem, welche Nachrichtendienste wir abonnieren.

Doch wie nehmen wir diese Nachrichten wahr? Denn klar ist: Bis auf Headlines und kurze Videoclips bekommen wir nicht viel mit. Studien haben gezeigt, dass wir die meisten Nachrichtenbeiträge, die wir online aufrufen, für gerade einmal 15 Sekunden konsumieren.

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Was eine Nachricht zur Nachricht macht

Bevor wir uns anschauen, wie wir Nachrichten wahrnehmen, lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, was Nachrichten für uns überhaupt interessant macht. Kommunikationswissenschaftler haben einige Faktoren, sogenannte Nachrichtenwerte, bestimmt. Zu denen gehören neben Neuigkeit und Nähe auch Tragweite, Prominenz, Dramatik, Kuriosität und – klar – Sex und Gefühle.

Je schlechter, desto besser

Bei der Entscheidung, welche Meldung das Zeug zur Schlagzeile hat, gilt in News-Redaktionen das althergebrachte Motto „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“. Und das kommt nicht von ungefähr: Eine kulturübergreifende Studie, die in mehr als 17 Ländern durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass Menschen auf schlechte Nachrichten stärker reagieren als auf gute. Dieses Phänomen wird als Negativitätsverzerrung bezeichnet, denn negative Informationen werden stärker gewichtet als positive.

Warum das so ist, können Forscher bislang nicht eindeutig beantworten. Möglicherweise ist es evolutionär bedingt, da schlechte Nachrichten uns eine Warnung sein können, eben nicht zum Nachbarlagerfeuer zu gehen, weil sich da Kannibalen ihre vollgefutterten Bäuche wärmen lassen.

„If it bleeds, it leads.”

Negative Neuigkeiten werden also eher wahrgenommen und verkaufen sich somit auch besser. Kein Wunder, dass der Trend, die Welt als schlimmen Ort darzustellen, in den vergangenen Jahren stärker geworden ist, wie Untersuchungen ergeben haben.

Wahrnehmung versus Wirklichkeit

Die Negativitätsverzerrung ist nicht die einzige kognitive Verzerrung, der wir beim News-Konsum zum Opfer fallen können. Unsere Nachrichtenwahrnehmung wird außerdem vom Bestätigungsfehler beeinflusst: Wir tendieren dazu, Informationen gemäß unseren eigenen Erwartungen auszuwählen und zu interpretieren. Dadurch neigen wir dazu, uns in einer „Bubble“ zu bewegen. Schlimmstenfalls bekommen wir nur wenig von dem mit, was außerhalb dieser Nachrichten-Blase passiert. Diese selektive Wahrnehmung wird dadurch verstärkt, dass wir Nachrichten über unsere Social-Media-Feeds gefüttert bekommen, die uns dank cleverer Algorithmen genau das auftischen, was uns schmeckt.

Eine ähnlich verzerrende Wirkung hat der Halo-Effekt: Wir schließen von bekannten Eigenschaften einer Person auf unbekannte. Menschen, die gut aussehen, werden oft als sympathisch, gesellig oder intelligent beurteilt. Bei Antipathie lässt sich das natürlich auch ins Negative umdrehen. So schließen wir von einem Interview, in dem ein Politiker missgelaunt auf eine Frage geantwortet hat, darauf, dass er generell ein Stinkstiefel ist.

Die Meinung der anderen

In Zeiten der Forumsdiskussionen und Kommentarfunktionen unter jedem Beitrag, Tweet und Post beeinflusst ein weiterer Faktor die Art und Weise, wie wir Nachrichten wahrnehmen – und zwar in Form des Mitläufereffekts. Nutzerinnen und Nutzer von Online-Nachrichten tendieren Studien zufolge dazu, sich der Meinung der anderen anzuschließen. Sie verhalten sich konform mit dem, was sie in der Kommentarspalte lesen, und vertrauen dabei der Interpretation der anderen eher als den eigenen Sichtweisen.

Viele von ihnen denken zudem, dass sie mittels solcher Forenbeiträge einen Eindruck über das öffentliche Meinungsklima bekommen würde. Dabei ist das oft nicht der Fall. Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass die aktivsten Nutzerinnen und Nutzer in Foren meist diejenigen sind, die eine negative Sichtweise bezüglich eines bestimmten Themas haben.

Möglicherweise verlassen wir uns auch auf das, was andere sagen, weil wir schlicht und einfach überfordert sind von dem Informationsangebot, das im Netz auf uns wartet. Cyberpsychologin Catarina Katzer sagte in einem ARD-Interview: „Wir sind einer digitalen kognitiven Überlastung ausgesetzt“ und „werden immer oberflächlicher in der Informationsverarbeitung“. Dadurch werden wir der Expertin zufolge fehleranfälliger. Es passiert häufiger, dass wir unser eigenes Wissen nicht mehr mit dem abgleichen, was wir da lesen oder anschauen.

Ich versteh die Welt nicht mehr

Wege zu gesundem Nachrichtenkonsum

Weil dieser Artikel eben keiner sein will, der nur mit negativen Nachrichten punktet, nun also die entscheidende Frage: Bei all den Faktoren, die uns in unserer Nachrichtenwahrnehmung beeinflussen, wie können wir da auf eine gesunde und sinnvolle Weise Nachrichten konsumieren – ohne uns allzu sehr in die Irre führen zu lassen oder gar auf Fake News hereinzufallen?

Lisa Merten, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung, weiß Rat: „Meine persönliche Lösung ist, meinen eigenen Kopf auszutricksen, indem ich gezielt andere Nachrichten konsumiere. Wenn wir uns zum Beispiel die Tagesschau in voller Länge anschauen, dann werden wir unweigerlich mit Themen konfrontiert, für die wir uns sonst vielleicht nicht interessieren würden.“ Sie empfiehlt eine gezielte Nutzung einer Bandbreite von qualitativ hochwertigen journalistischen Angebote, anstatt nur nach den eigenen Interessen zu klicken.

„Letztlich kann man das genauso wie gesunde Ernährung sehen: Will ich das, was ich in Form von Nachrichten konsumiere, wirklich zu mir nehmen?“, so Merten. Um die individuelle Nachrichtendiät zu analysieren, rät die Medienwissenschaftlerin dazu, sich die folgenden Fragen zu stellen: Wie viele Nachrichten will ich in meinem Leben haben? Wie sollen die zusammengestellt sein – verlasse ich mich auf Algorithmen, die auf meinen Präferenzen basieren, oder vertraue ich lieber der Kompetenz von Redaktionen? Welchen Medien schenke ich mein Vertrauen?

Wer sich seiner eigenen Online-Medienkompetenz unsicher ist, kann einen von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützten Selbsttest machen, der dabei hilft, den eigenen Nachrichtenkonsum und -umgang zu beleuchten.

„Wir haben in Deutschland eine gute Medienlandschaft“, so Merten, „die sollten wir nutzen.“