Was wusstest du über “The Sandman”, als du dafür angefragt wurdest?

Nichts wusste ich. Aber man muss dazu sagen: Angefragt hat mich Tommi Schneefuß, der “The Sandman” produziert und dabei Regie geführt hat. Der ist großer Comic Fan und kannte Sandman in- und auswendig. Da ich mit ihm befreundet bin, war klar, dass ich das auf jeden Fall mache, wenn er das möchte. Erst in der Vorbereitung habe ich mich mit den Comics beschäftigt, aber ich wusste eigentlich darüber gar nichts.

Was hat Tommi dir denn gesagt, damit es dich reizt? Einfach nur, dass du der Richtige dafür bist, oder wie ist das abgelaufen?

Ja, grundsätzlich ist das schon so. Wenn ein Freund anruft und sagt: “Hier, das machen wir zusammen”, dann sagt man nicht nein. Aber er hat auch von Anfang an gesagt, dass das etwas ganz Besonderes ist und hat mir die Comics gegeben. Die habe ich mir angeguckt, und ich bin jetzt nicht unbedingt Comic-affin, aber ich bin ein Fan von kruden, mysteriösen Geschichten, Mir war gleich klar, dass das schon Atmosphäre hat, und ich war sehr gespannt, wie sich ein Comic als Hörspiel umsetzen lassen soll. Das war eigentlich das Interessante für mich an der Sache, und dann war’s nur ein kleiner Schritt zu sagen: Ja gut, mach Termine.

Wie hast du dich auf die Aufnahmen vorbereitet?

Tommi hat mir die englischen Original-Comics gegeben. Ich fand die Geschichte an sich so verwirrend und so vielschichtig, dass für mich klar war, dass ich vor allem die Atmosphäre transportieren muss, die Spannung und das Gefühl. Der Inhalt war dann Tommis Sache als Regisseur. Es ist ja eine völlig neue Form, so etwas zu produzieren. Ich habe sehr viel synchronisiert, und ich habe viele Hörspiele gemacht, aber ich habe noch nie vorher ein Hörspiel synchronisiert.

Es war eine ganz merkwürdige, eigene Art das zu machen. Man muss sich in dem Zeitrahmen bewegen, in dem sich die Originalsprecher bewegt haben, und dadurch ist man sehr begrenzt in seinen Möglichkeiten. Wenn man viel synchronisiert hat wie ich, dann kommt einem das Timing zugute - dass man ein Gefühl hat für die eigene Sprech-Länge im Verhältnis zur Originallänge. Aber wenn man nicht so geübt ist, dann dauert es ewig lange, um die deutschen Texte in die englische Länge zu packen - und das nur nach Gehör, ohne denjenigen zu sehen! Das finde ich schwer und sehr anstrengend.

Wie laufen solche Aufnahmen genau ab? Wie kann man sich das vorstellen?

Ich bereite mich zuhause vor, lese den Stoff, streiche mir meine Texte an und verstehe dabei die Szene und die Zusammenhänge. Und ich habe einen Regisseur, um sie mir noch mal zu erklären. Dann kommt die Aufnahme. In diesem Fall war ich ja keine Figur, sondern der Erzähler. Das sind manchmal anderthalbseitige Textpassagen von fünf Minuten, wo wir eine zehnprozentige Kulanz haben. Ich muss also zehn Prozent drüber oder zehn Prozent schneller sein als der Originalsprecher, aber mehr auch nicht. Das heißt, der Text muss erstmal schon so übersetzt sein, dass das überhaupt geht. Das hat natürlich auch nicht immer funktioniert. Und dann haben wir überlegt: Müssen wir was rausnehmen? Wie können wir schneller werden, ohne hektisch zu werden?

So wird also Schritt für Schritt jeder Take, jeder Abschnitt einzeln durchgegangen. Ich höre das Original und spreche meine Sache drauf. Dann sagt der Tonmeister oder Tommi, der Regisseur: Jetzt sind wir zu lang oder zu kurz, hier warst du unsauber - der übliche Ablauf. Es ist schon eine fummelige Arbeit, die sehr technisch ist, und ich glaube, die Aufgabe besteht darin, fröhlich dabeizubleiben und trotzdem noch die Geschichte zu transportieren bei dem ganzen darauf Achten, wie lang es denn nun eigentlich sein darf. Das ist ähnlich wie beim Synchron, nur hat man da ganz kurze Abschnitte - zwei, drei Sätze - die man sich merkt. Wenn ich die zwanzig Mal hintereinander sagen muss, stört es mich nicht, aber bei anderthalb Seiten kann das schon eine Menge Zeit kosten, bis man es endlich hat. Eine ziemlich aufwendige Angelegenheit bei so einer textintensiven Geschichte.

The Sandman
The Sandman: Akt II
The Sandman: Akt III

Im englischen Hörspiel ist Neil Gaiman der Erzähler. Wie sehr hast du dich an ihm orientiert?

Ich habe vor jeder Aufnahme immer einmal Neil Gaimans Original gehört, komplett, und mir dann überlegt, was ich damit mache. Ich musste ja auch mein Eigenes finden. Ich kann ja nicht Neil Gaiman synchronisieren, zumal ich ihn ja nicht mal vor mir sehe. Am Anfang haben wir überlegt, ob wir der Figur etwas geben, was Neil nicht gemacht hat. Der ist ja auch kein ausgebildeter Schauspieler. Oder ob wir uns an ihn dranhängen und es so lassen. Die Fans, die The Sandman im Englischen kennen, mögen’s ja, und daran mussten wir uns orientieren. Es war ein Prozess, irgendwie einen Mittelweg zu finden - Neil Gaimann zu übernehmen, aber trotzdem irgendwie ich zu bleiben. Das war wirklich tricky.

Die Sandman Fans sind sehr kritisch, was die Übertragung ist Deutsche angeht, oder?

Das stimmt! Im Internet sagen natürlich viele, dass man das englische Original nicht toppen kann, aber damit kann ich umgehen. Das Argument kenne ich aus dem Synchronsprechen seit vierzig Jahren. Es ist eben eine Veränderung des Originals, aber das Hörspiel mit diesem Sounddesign ins Deutsche zu übertragen, das kann schon gelingen. Ich will damit sagen: Man soll’s nicht vergleichen. Wer die Synchronisation nicht mag, kann ja das Original hören. Aber viele Leute sind des Englischen nicht so mächtig und haben darauf gewartet - und für die machen wir’s ja.

Warst du von Anfang an als Erzähler vorgesehen?

Ja. Auch das war für mich etwas relativ Neues: Hörspiel-Erzähler. Ich habe das noch nicht oft gemacht. Ich habe natürlich schon Dokumentationen synchronisiert oder gesprochen, und ich weiß, was da zu tun ist. Ich habe ja auch ein Ohr und ein Gefühl dafür. Ich mache das gerne, auch wenn ich eigentlich lieber eine Rolle spiele. Erzähler ist eine ganz andere Arbeit und eine große Verantwortung - gerade bei diesem Werk, wo ich so viel Text hatte. Man trägt die Sache, muss die Hörer bei der Stange halten und muss in diesem Ton bleiben, ohne zu werten. Das fand ich sehr schwer und sehr verantwortungsvoll.

Was ist denn als Hörspiel-Erzähler anders als bei einem Hörbuch?

In einem Hörbuch fließt es mehr. Wörtliche Rede und erzählende oder beschreibende Passagen wechseln sich in einem Hörbuch ja ab. Ich habe immer wieder die Möglichkeit, in die Figuren zurück zu fallen. Am allerliebsten sind mir Hörbücher, die in der Ich-Form geschrieben sind. Dann kann ich die ganze Zeit eine Figur sein, und auch Beschreibungen aus dieser Figur heraus erzählen - dadurch habe ich einen ganz anderen Zugang. Das hat man als Hörspiel-Erzähler nicht. Das ist trockener. Man ist quasi der Chef, der Boss, der Oberguru, der alles lenken muss. Aber einfach nur Fakten zu sagen reicht ja nicht. Man muss schon Vibes vermitteln. Da war Tommi ganz wichtig - ein Regisseur, der einem am richtigen Punkt mal sagt: “Pass auf, das wird jetzt langweilig”. Oder: “Pass mal auf, hier im Hintergrund passiert gerade das und das.” Das hat mir sehr geholfen. Irgendwann habe ich mir eine Figur in einem dunklen Mantel vorgestellt, die irgendwo sitzt und jemandem diese Geschichte erzählt. Das war die Brücke für mich.

Du bist durch deine Stephen King Hörbücher als Horror-Leser bekannt. Und "The Sandman" gilt ja als Horror-Fantasy. Was ist das für dich: Horror?

Horror sind eigentlich kleine Dinge, die plötzlich im normalen Alltag passieren. Der Geist, der plötzlich am Kühlschrank steht. Sandman ist für mich eigentlich eher Fantasy. Es gibt natürlich brutale Parts, aber Horror hat nicht unbedingt mit Blut oder Eingeweiden zu tun, sondern spielt sich eher im Kopf ab. Klassischer Horror sind für mich Kurzgeschichten von Stephen King, wo jemand etwas erlebt, was völlig außerhalb seiner Vorstellungskraft ist und dann Angst dazu kommt. Todesangst.

Hast du eine bestimmte Art, Horror vorzulesen?

Man kann Horror nicht vorlesen mit der Attitüde: Ich lese jetzt Horror vor, gruselt euch mal alle! Das funktioniert nicht, das kann ich bis hierhin sagen. Man muss das als Geschichte vorlesen, empathisch mit den Figuren sein, sich diese zu eigen machen. Der Rest liegt beim Autor. Man selber muss eigentlich nur möglichst wahrhaftig Figuren darstellen. Dann ergibt sich der Horror von selbst. Wenn ich jetzt noch besonders dunkel lesen würde, das funktioniert nicht, das wird lächerlich. Das ist meine Meinung dazu.

Du sprichst viel von Atmosphäre. Wie hast du die in "The Sandman" mit deiner Stimme rübergebracht?

Am Mikrofon hat es - im Gegensatz zum Theater - etwas mit Reduktion zu tun, glaube ich. Ich denke mir immer: Es ist ein großes Werk; es muss mystisch sein. Und dann sage ich mir: Fahr mal runter, Junge! Wenn im Text etwas auftaucht - eine Angst zum Beispiel - die ich nachvollziehen kann, dann mache ich sie mir zu eigen, versuche sie wirklich hoch zu holen. Dann aber leise, und nicht laut. Damit kriegst du die Leute nicht, jedenfalls nicht übers Mikrofon. Du musst ins Mikrofon reinkriechen. Je leiser, umso mehr müssen die Leute hinhören. Umso mehr saugst du sie an dich ran. Das ist ein schmaler Grat, und es kann langweilig werden, wenn man nicht wirklich hundertprozentig gedanklich beim Text ist. Man muss das, was man sagt, auch denken. Ich versuche, möglichst wenig Welle zu machen, keinen Pathos. Den hab ich zwar auch in der Stimme, und jeder von uns hat seine Manierismen - ich auch, und ganz bestimmt werden viele Leute die erkennen. Tommi Schneefuß kennt die Punkte, die neuralgisch bei mir sind und weist mich dann darauf hin. Ich versuche sie wegzulassen, und ich versuche gerade zu sein, ehrlich und wahrhaftig. Das klingt jetzt unglaublich pathetisch, ist aber glaub ich die Grundlage unseres Berufs.

Die Corona-Frage: Liefen die Aufnahmen anders ab? Musstest du von zuhause aus aufnehmen?

Bisher konnte ich es vermeiden, mir ein Home Studio zu bauen, und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Ich bin niemand, der gerne zuhause arbeitet. Ich brauche die Interaktion. Ich brauche wenigstens einen Regisseur oder einen Tonmeister, der mich maßregelt und zurückhält oder motiviert. Ich glaube, ich hätte Schwierigkeiten, meinen Tagesablauf zu planen, wenn ich hier im Bademantel am Mikrofon sitzen würde. Das geht nicht. Das passt nicht.

Diesmal war ich mit Tommi alleine im Studio, niemand sonst. Es ist so eine… nicht depressive, das wär übertrieben, aber eine melancholische Grundstimmung. Die ist immer da, weil man ja auch ständig über Corona redet, wenn man dann mal jemanden trifft. Das macht es manchmal schwierig, sich auf das zu konzentrieren, was eben gerade jetzt zu tun ist: Entertainment zu machen für die Leute, und das ein paar Stunden am Tag möglichst mit fröhlichem Herzen. Es gelingt noch, aber wenn es so weitergeht, wird es schwer. Wir brauchen unsere Leichtigkeit zurück. Das war bei einem Werk wie diesem nicht so schlimm, denn da kann man das benutzen, und das haben wir auch versucht. Ansonsten hält man eben Abstand und läuft in so einer kleinen Blase durchs Studio. So ist es nunmal.

Wenn es einen weiteren Teil von The Sandman gibt, bist du wieder mit an Bord?

Ich würde das nochmal machen, klar - wenn’s den Leuten gefällt. Das wäre die Grundvoraussetzung dafür. In Amerika und England werden ja noch viel mehr solche Hörspiele produziert. Diese Art der Arbeit wird immer öfter auf uns zukommen, denke ich, und ja, ich finde das interessant.

(Anmerkung der Redaktion: Inzwischen ist mit Akt III bereits der dritte Teil des Hörspiels erschienen - natürlich mit David Nathan als Sprecher.)

Das heißt, den Hörspiel-Boom für Erwachsene unterstützt du? Bist du ein groß gewordenes Kassettenkind?

Ich bin so alt, ich bin noch ein Schallplattenkind! ich hatte Schallplatten mit Hörspielen, und damals waren das großartige Theaterschauspieler, ganze Ensembles. Diese Qualität habe ich immer im Ohr, deswegen befürworte ich diesen Hörspielboom, und natürlich lebe ich davon auch. Ich finde aber, man sollte gute Hörspiele machen. Dafür wiederum braucht man Zeit, braucht auch keinen Virus, damit man vielleicht mal zu dritt oder zu viert im Atelier stehen kann. Das ist eine ganz andere Arbeitsweise, und das fehlt mir ganz oft. Aber das fehlt mir auch beim Synchron. Es ist ja auch eigentlich das, warum man in diesen Beruf mal gegangen ist: Man will ja mit anderen Leuten agieren, und Kritik und Lob. Man will sich die Bälle hin- und herschmeißen. Das ist aus der Mode gekommen, und das finde ich schade. Ich hätte das gerne viel öfter.

Warum sollte man sich "The Sandman" anhören?

Also, die Story kann man mögen oder nicht, und es gibt wahrscheinlich viele, die damit gar nichts anfangen können. Tommi hat mir immer erzählt, dass die Sounds, die reine Geräusch-Atmosphäre ziemlich eindrucksvoll sei. Vieles ist heute ja doch relativ flach produziert, mit Geräuschen aus der Dose statt mit einem Geräuschemacher und ich weiß, dass Tommi einen irrsinnigen Aufriss gemacht hat, um alles perfekt zu machen. Und das hört man, da bin ich mir sehr sicher. Und es ist eine ziemlich besondere Auswahl an Sprechern, die in Sandman zusammenarbeiten. Wir sind ja gar nicht mehr so unbekannt. Viele haben ihre Fans und ihre Vorlieben. Das alleine wäre schon ein Grund, unabhängig von der Geschichte. Wenn’s gelingt, dass die Leute wirklich einen Film sehen vor ihrem inneren Auge, dann bin ich zufrieden. Das ist das, was wir leisten können im besten Fall, denke ich. Für den Inhalt sind letztendlich andere verantwortlich.

Noch ein letztes Wort? Gibt es etwas, was du zu “The Sandman” unbedingt noch sagen möchtest?

Tommi Schneefuß war für mich ein ganz wichtiger Faktor. Ich habe das schon gesagt, ich weiß, aber ohne ihn hätte das ganz, ganz doll anstrengend werden können, mit jemandem, der nicht so in dieser Materie steckt. Tommi liebt diese Comics wirklich, und das ist wichtig, dass man jemanden hat, der die Fäden in der Hand hat und das mit dem Herzen macht. Dann kann man sich da dranhängen. Das war in diesem Fall so, deswegen war es eine schöne, schwierige, sehr intensive Arbeit.