Bis ans Ende der Geschichte von Jodi Picoult

Das Dritte Reich: In der Schule haben wir uns fächer- und schuljahresübergreifend mit diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte auseinandergesetzt. Ein wichtiges Thema, das so ausführlich behandelt wurde, dass es – sind wir mal ehrlich – fast schon ermüdend war. Versteht mich bitte nicht falsch: Ich halte die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für absolut notwendig. Und deshalb bin ich Jodi Picoult auch so dankbar, dass sie sich in Romanform mit diesem Thema auseinander gesetzt hat.

Bis ans Ende der Geschichte

Die amerikanische Bestsellerautorin Jodi Picoult, deren Werke sich nicht zuletzt aufgrund hervorragender Recherche von der Masse abheben, liefert in Bis ans Ende der Geschichte nicht nur Fakten, sondern beleuchtet auch die Schicksale von Menschen. Und sie hat den Mut, in einem belletristischen Werk nicht nur einen Blick auf die Opfer des Nationalsozialismus zu werfen, sondern auch auf die Menschen, die zu Tätern geworden sind. Damit vermittelt sie auf emotionale Weise Dinge, von denen wir nichts in der Schule gehört haben:

Von Opfern und Tätern

In einer Trauergruppe lernt die einsame junge Sage den bereits 90 Jahre alten Josef Weber kennen, einen deutschen Migranten, der sich hervorragend in die Gemeinde integriert hat. Er hat sich jahrelang sozial stark engagierte und gilt als überaus beliebt. Auch Sage fühlt sich von seiner sanften Art angezogen und freundet sich mit ihm an. Die Besuche bei dem freundlichen Rentner tun der zurückgezogenen Sage sichtlich gut – bis Josef das Unmögliche von ihr verlangt: Er bittet sie, ihm beim Sterben zu helfen. Mehr noch, er offenbart ihr, dass er einst eine führende Position in der SS bekleidet hat – und bittet Sage, die jüdische Wurzeln hat, ihm stellvertretend für seine Opfer das Grauen zu verzeihen, dessen er sich schuldig gemacht hat.

Sage ist von seinem Geständnis und seiner Bitte außer sich. Ihre eigene Großmutter Minka hat einst nur knapp eine furchtbar schreckliche Zeit im Konzentrationslager überlebt. Plötzlich wird ihr bewusst, dass sie Minka nie wirklich nach ihren Erlebnissen während der NS-Zeit befragt hat. Und während Minka für ihre geliebte Enkeltochter die schmerzlichen Erinnerungen von einst noch einmal durchlebt, reift in Sage der Entschluss, Josefs Bitte nachkommen zu wollen. Aber handelt sie dann, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, oder will sie nur Rache und würde dadurch zur Mörderin?

Fragen, die weh tun

Wie viele gute Taten muss ein Mensch begehen, um sich von einer furchtbaren Schuld reinzuwaschen? Kann er das überhaupt? Kann ein Mensch jemandem stellvertretend für jemand anderen verzeihen? Wie findet man die Kraft zum Weiterleben, nachdem man Grausames erlebt hat – ob nun als Opfer oder als Täter? Jodi Picoult beantwortet diese Fragen nicht, regt aber zum Nachdenken an.

Ihr jüngster Roman ist nicht zuletzt deshalb so tief bewegend, weil es ihr gelingt, ihrem Publikum alle Figuren des Romans näher zu bringen: Sage, ihre Großmutter Minka – aber auch Josef. Man erfährt viel um die Umstände in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg, die dazu geführt haben, aus ihm den Mann zu machen, der er geworden ist. Seine Geschichte ist beinahe ebenso tragisch und bewegend wie die von Minka, die sich an ihre Jugend in Lodz erinnert und den wachsenden, scheinbar unaufhaltsamen Hass, der den Juden entgegenschlägt, aus nächster Nähe miterlebt – aber auch an die Momente der Hoffnung, des Widerstands und auch der Hilfe aus deutschen Händen.

Um zu überleben, wird Minka selbst zu einer Geschichtenerzählerin: Das Grauen, das sie erdulden muss, verarbeitet sie in einer phantastischen Erzählung, die sie sich und ihren Schicksalgefährtinnen erzählt - der dritte Handlungsstrang des Buches.

Verschiedene Stimmen für verschiedene Blickwinkel

Es ist kein leichtes Hörbuch: Es ist aufrührend und tragisch und es erlaubt dem Publikum, sich auf emotionale Weise mit den Schrecken des Dritten Reiches auseinanderzusetzen. Wie in vielen ihrer jüngeren Werke erzählt die Autorin die Geschichte aus mehreren Blickwinkeln – ein Umstand, dem die Hörbuchversion dahingehend Rechnung trägt, dass sie jeden Blickwinkel mit einem anderen Sprecher besetzt.

Bis ans Ende der Geschichte ist gleichzeitig Unterhaltungsliteratur und ein wichtiges Buch – und eines der besten Werke einer Autorin, die ohnehin bereits viele hervorragende Romane geschrieben hat. Nicht umsonst sind die Bücher von Jodi Picoult Kult. Sie selbst beschreibt ihre Bücher bescheiden als Romane über Familien, Beziehungen und Liebe. Das trifft zwar zu, ist aber eine viel zu eng gefasste Definition, die noch dazu auf eine falsche Fährte lockt.

Im Doppelpack zum Erfolg: Schwestern in Fiktion & Film

Mehr Jodi Picoult Bücher

Picoults Bücher sind alles andere als einfach. In den meisten ihrer Werke setzt sie sich mit brisanten Themen auseinander, um die andere gern einen großen Bogen machen. Ob sie von Säuglingsmord schreibt, von Kindesentführung oder davon, dass ein Mörder sein Herz einem todkranken Mädchen zu Transplantationszwecken schenken will – ihre Bücher lassen nicht kalt. Picoult beleuchtet Abgründe und versucht zu ergründen, was in Extremsituationen in Menschen vorgeht. Das ist keine leichte, aber lohnende Lektüre! Ihr vermutlich bisher größter Erfolg Beim Leben meiner Schwester** wurde von Hollywood verfilmt – wenn auch nicht sonderlich gelungen.

Wenn ihr gern englischsprachige Hörbücher hört, dann zieht unbedingt Lone Wolf in Betracht, denn das ist ebenfalls einer von Jodi Picoults besten Romanen. Er handelt davon, dass zwei Geschwister sich am Krankenhausbett ihres Vaters darum streiten, ob die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt werden sollen oder nicht.

Fazit

Jodi Picoults Romane sind schmerzlich, packend und lehrreich und deshalb vor allem eins: wichtig!

Probiert es aus: Die Hörbücher von Jodi Picoult findest du hier.