Als Kind gab es für mich nichts Besseres als die Aufnahmefunktion meines Kassettenrekorders. Ein weinroter Kasten, an dem ich die Play- und Aufnahmetaste gleichzeitig kräftig runterdrücken musste, um die Kassette vollzuquatschen. Ich konnte damit ganze Tage zubringen: Radio spielen. Meine eigenen Sendungen – mit Nachrichten, dem Wetter, Gewinnspielen, so wie ich es aus dem richtigen Radio kannte. Nur, dass ich mir die Nachrichten ausdachte. Mit Freude vor allem die, die von dem Klatsch der Stars und Sternchen handelten – Leonardo di Caprio hatte auf jeder Kassette mindestens eine neue Freundin. Dazwischen spielte ich Musik. Das bedeutete, ich sang entweder selbst schnulzige Popsongs der 80er, deren Texte ich mir eher in einer Art Fantasie-Englisch zusammenreimte oder ich machte das richtige Radio an und saß dann mucksmäuschenstill im Zimmer, um sofort auf den Stopp-Knopf zu drücken, wenn das Lied vorbei war.

Wenn ich jetzt einen Podcast höre, muss ich mir immer vorstellen, wie der Mensch, der da gerade redet, unter einer Bettdecke steht, schwitzt und versucht, gleichzeitig die Aufnahmesoftware und den Laptop zu bedienen.

Podcasten, Moderieren und Erzählen

Warum also nicht einen Podcast machen? Habe ich doch früher auch schon gern gemacht – Dinge frei ins Mikro zu quatschen. Kann ja so schwer nicht sein! Dieser Gedanke schießt mir wieder in den Kopf, als ich mit Bettdecke über dem Kopf am Schreibtisch stehe. Vor mir ein Mikrofon und dahinter schimmert der Laptop. Die Bettdecke rutscht auf meinem Kopf hin und her. Und obwohl ich mich nicht bewegen kann – nicht bewegen darf! – schwitze ich so, dass ich Angst habe, der Schweiß könnte gleich von meiner Stirn auf das teure Mikrofon tropfen. „Das kannst du auch zuhause machen“, haben sie gesagt, „du musst nur Studioatmosphäre herstellen! Du glaubst nicht, wie viele Menschen ihre Podcasts unter Bettdecken sitzend aufnehmen.“ Sehnsüchtig erinnere ich mich an mein altes Kinderzimmer, in dem ich gemütlich eingebettet in Kissen und Decken unter meinem Schreibtisch saß und „Vielleicht wird es morgen wieder sehr sonnig!“ ins Mikrofon sprach. Wenn ich jetzt einen Podcast höre, muss ich mir immer vorstellen, wie der Mensch, der da gerade redet, unter einer Bettdecke steht, schwitzt und versucht, gleichzeitig die Aufnahmesoftware und den Laptop zu bedienen.

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Was ich gut kann: Geschichten ausdenken

Ich habe Kassetten mit 90 Minuten Aufnahmezeit ohne Probleme mit meinen Gedanken, Liedern und improvisierten Moderationen gefüllt. Zwanzig Jahre später stehe ich auf Bühnen und lese Geschichten vom Blatt ab, die ich mir selbst ausgedacht habe. Manchmal lachen Menschen sogar!

Was ich nicht gut kann: Technik

Früher war nicht alles besser, aber mindestens mal die Aufnahmetechnik meines Rekorders. Was war das einfach, als es nur etwas Muskelkraft brauchte, um direkt loszulegen. Heute muss ich alles aufbauen, das Mikrofon anschließen, die Software öffnen, auspegeln und dann beim vorsichtigen Gestikulieren nicht gegen das Mikrofon oder die zwei kleinen Rädchen kommen. Nur, um nach dem letzten Satz festzustellen, dass ich nicht auf Aufnahme geklickt habe. Oder vergessen habe, das Mikrofon auch in der Software als Eingangsquelle auszuwählen. „Warum machst du es nicht direkt richtig?“ fragt der Mann, wenn ich dann mit von der Bettdecke zerzausten Haaren und genervt von mir selbst ins Wohnzimmer zurückkomme. „Weil das langweilig wäre!“ schieße ich zurück. „Ich habe gern ein aufregendes Leben!“

Radio Sonnenwelle

Im Kinderzimmer standen neben mir immer ein großes Glas kalter Kakao und eine Schüssel mit Keksen oder etwas Schokolade. Gift für die Sprecherinnenstimme! Das wusste ich natürlich damals noch nicht. Heute esse ich vor der Aufnahme Trauben und trinke ein warmes Glas Ingwerwasser. Ich mache Aufwärmübungen, die ich in Theaterworkshops gelernt habe. Und dann höre ich mir die Aufnahme an und frage mich, wieso ich an manchen Stellen genauso schmatze wie die Moderatoren im Fernsehen, die ich genau deswegen hasse. Und warum sich meine Stimme trotz aller Bemühungen immer noch genauso anhört als würde ich einfach so loslegen.

Radio Sonnenwelle – so hieß mein Sender – gibt es also nicht mehr. Umso schöner, dass ich jetzt wieder Dinge ins Mikrofon quatschen darf

Aber: Das Endergebnis ist immer so gut, dass ich es mir sogar selbst anhören kann, ohne im Boden versinken zu wollen. Und heute hören es – im Gegensatz zu meinen ersten Versuchen in der Kinderzimmer-Kissenhöhle – sogar andere. Der Traum davon, dass Menschen mich „einschalten“ ist tatsächlich wahr geworden. In der Pubertät habe ich meine Kinderstimme, die teilweise sogar mehrere Moderatoren imitiert hat, leider mit Musik überspielt, die ich heute nicht ansatzweise nochmal freiwillig abspielen würde. Radio Sonnenwelle – so hieß mein Sender – gibt es also nicht mehr. Umso schöner, dass ich jetzt wieder Dinge ins Mikrofon quatschen darf – und ich muss mir nicht einmal mehr die Wettervorhersage dafür ausdenken.

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